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Holy moments im Strudel des Lebens 

 Mai 26, 2018

 

„Wann ist die rush hour meines Lebens endlich vorbei?“, frage ich eine Bekannte. Offensichtlich kann sie das Stöhnen und Ächzen zwischen den Zeilen meines Mails lesen. „Surf doch einfach auf den Wellen der rush hour!“, schreibt sie zurück. Ich stöhne noch lauter. Wenn ich nur wüsste, wie das geht!

Ein paar Tage später ächzt sie selbst: „Ich lebe nur noch zwischen Tür und Angel.“

„Ach, da lebt es sich doch ganz gut“, antworte ich und muss über mich selbst lachen. Weise Worte, Frau Oberschlau Commenda. In Wirklichkeit habe ich keine Ahnung, wie man zwischen Tür und Angel gut lebt.

Eine Freundin schickt mir eine atemlose Momentaufnahme des Lebensstrudels, in dem sie gerade steckt. Krankes Kind, kranker Hund, Wäscheberge, und was das Leben sonst noch Verzichtbares zu bieten hat. Wunderbar, denke ich, da kommt mir mein eigener Strudel mit Malern und Handwerkern, die nicht auftauchen, alten Möbeln, die schon weg und neuen, die noch nicht da sind, Übersiedlungswahnsinn, einem großen Projekt, das dringend auf Schiene gebracht werden muss, der DSGVO mit all ihren Blüten, Yoga- und Schreib-Workshops, verschwundenen Schlüsseln und einem kapriziösen neuen Laptop, der nie tut, was ich von ihm will, plötzlich gar nicht mehr so schlimm vor.

Hey, Yoga-Tussi! Was läuft hier falsch? 

Trotzdem liegen meine Nerven blank. Mein Sympathikus tut so, als wäre der sprichwörtliche Säbelzahntiger hinter mir her, mein Schokokonsum steigt beträchtlich, mein Geliebter, ansonsten die Sanftmut in Person, meckert mich an, weil er schwere Kisten schleppen und Glasplatten in meiner Lieblingsfarbe (PINK! PINK! PINK!) lackieren muss, ich meckere zurück, Herr Sohn setzt ein gekonnt provokantes Sahnehäubchen obendrauf, und schon hängt der Haussegen in perfekter Schieflage.

Zwischendurch fällt mir ein, dass ich neben all dem Wahnsinn doch bitteschön tiefenentspannt im Hier und Jetzt ruhen soll. Das bisschen Strudel wird mir doch nicht meine Gelassenheit rauben, meine innere Ruhe und meine bedingungslose Glückseligkeit! Hey, Yoga-Tussi, wozu meditierst du eigentlich jeden Tag? Machst abstruse Atemübungen, singst exotische Mantren und stehst Kopf? Hä?

Dieser Gedanke lässt gleich noch mehr Stresshormone durch meine Zellen schwappen. Wie, bitte, soll das gehen? Wie soll ich im Hier und Jetzt ruhen, während ich von einer Lebensbaustelle zur nächsten hetze, hier Feuerwehrfrau spiele, dort Seelentrösterin, hier Umzugskoordinatorin, dort Projektmanagerin, hier Innenraumdesignerin und dort Marketingexpertin? Das sollen sie mir mal erklären, die erleuchteten Yogis in ihren Himalaya-Höhlen, in denen es garantiert kein WLAN und keine Datenschutzverordnungen gibt!

Ein heiliger Moment

Doch dann. Plötzlich. Sitze ich – oh holy moment! –  auf meiner Matte, rund um mich eine Handvoll Yoga-SchülerInnen. Atmen sollen sie, sage ich, und sich bewusst machen, dass sie atmen. Sitzen sollen sie, sage ich, und sich bewusst machen, dass sie sitzen. Die Bewegung ihrer Bauchdecke sollen sie beobachten, sage ich, und so tun, als gäbe es nichts Wichtigeres auf der Welt. Ihre Gedanken sollen sie fallen lassen wie heiße Kartoffeln, sage ich, die Vergangenheit sollen sie vergessen und die Zukunft auch, weil es beides gar nicht gibt.

Und ja, plötzlich. Plötzlich ist das Leben wieder einfach und nicht mehr komplex. Plötzlich verstehe ich nicht nur, sondern durchdringe mit jeder Faser meines Körpers, dass inmitten des Strudels tatsächlich Ruhe herrscht. Dass es im Auge des Hurricans tatsächlich still ist. Dass ich einatme und ausatme und einatme und ausatme und bin und bin und bin. Dass es das Jetzt gibt, und dann das nächste Jetzt und dann das nächste Jetzt. Dass die Erde sich dreht, gleichgültig, ob ich wie von der Tarantel gestochen auf ihr herumrenne und dabei Haken schlage wie ein aufgescheuchtes Karnickel, oder ob ich hier sitze und atme. Dass ich das Leben da draußen stürmen und toben und strudeln lassen kann, und die Wahl habe, ob ich mich davon mitreißen lasse oder nicht.

Wer innehält, bekommt inneren Halt, heißt es.

So ist es, und es ist wirklich so einfach. Aber wenn die Stürme des Lebens toben, ist es schwierig, wirklich innezuhalten. Erstens, weil wir glauben, keine Zeit dafür zu haben. Und zweitens, weil unser reizsüchtiges Gehirn, wenn es erst mal im Das-noch-und-das-noch-und-das-noch-Modus ist, wie ein wildgewordener Affe nach immer neuen Reizen giert, statt Ruhe zu geben und sich zu entspannen.

 

Holy moments, die uns ins Auge des Hurricans bringen, können wir nicht erzwingen. Aber wir können sie einladen. Zum Beispiel so:

 

# 1 Zeitlupenbewegungen

Wenn du spürst, dass du nur noch hetzt, mach die Bewegung, die du sowieso gerade machen wolltest, in Zeitlupe. Nur diese eine. Ein paar Schritte die Treppe rauf. Ein paar Buchstaben in die Tastatur tippen. Den Wasserhahn von links nach rechts drehen. Das Shirt über den Kopf ziehen. Alles im Schneckentempo. Nimm jede winzige Bewegungsphase wahr. Du willst nicht schon am Ende der Bewegung angekommen sein. Du willst gar nirgends angekommen sein. Du willst dort sein, wo du gerade bist, und genau das tun, was du gerade tust. Micropraxis nennt sich das. Und eignet sich besonders für Lebensphasen, in denen du keine Zeit hast, um jeden Tag stundenlang am Kissen zu sitzen.
>> Commenda hat Zeit: Mein entschleunigter Rom-Trip

 

# 2 Zärtliche Berührungen

Ganz ähnlich wie #1: Spüre. Berühre die Türschnalle zärtlich, nimm wahr, welche Temperatur sie hat. Nimm den Autoschlüssel zärtlich in die Hand, bevor du deinen Wagen aufsperrst. Streich zärtlich über den Stoff deiner Jacke. Das kostet fast keine Zeit. Aber mehr zu spüren und weniger zu denken – das macht dich gegenwärtig. Denken kannst du an gestern und an morgen, an den letzten Termin mit dem Chef und an den nächsten Urlaub. Spüren kannst du nur, was JETZT gerade ist.

 

# 3 Löffel-Perspektive

Stell dir vor, du stehst am Ende deines Lebens und bist knapp davor, den Löffel abzugeben. Wie würdest du von deinem Sterbebett aus die aktuelle Situation beurteilen? Was würdest du dir selbst rückblickend raten? Vielleicht dir nicht so viel Stress zu machen, alles ein bisschen lockerer zu nehmen, und die Kontrolle abzugeben?

 

# 4 Smile!

Unser Gehirn kann nicht unterscheiden, ob wir einen Grund zu lachen haben oder nicht. Wenn du also wieder mal verbissen durch den Tag hetzt, deine Schultern hoch- und deine Mundwinkel runterziehst, weil alles so anstrengend ist und es scheinbar bei allem, was du tust, um Leben oder Tod geht, dann probier’s mal mit einem Lächeln. Auch wenn dir absolut nicht danach zumute ist. Du kannst auch übertrieben grinsen, kichern, ein dämliches Liedchen trällern oder in verrücktes Gegacker ausbrechen. Hauptsache, du signalisierst deinem Gehirn, dass das Leben Spaß macht, auch wenn es dir ständig das Gegenteil weismachen will.

 

# 5 Umarme den Strudel

Ja, manchmal träumen wir von einem ruhigen, beständigen, einfachen und unanstrengenden Leben. Von lauen Sommerabenden auf der Terrasse, von kuscheligen Winternächten bei Tee und Kerzenschein, von so etwas wie Vorhersehbarkeit und … Strudellosigkeit eben.

Aber diesen Gefallen tut das Leben uns nicht.

Stell dir vor, der Strudel ist in Wirklichkeit eine Hochschaubahn, mit der du freiwillig fährst. Du kreischst halb hysterisch, halb genüsslich, krallst dich fest und tust so, als wärst du in echter Lebensgefahr, obwohl du weißt, dass alles nur ein Spiel ist. Jahrmarkt. Und irgendwann ist die wilde Fahrt vorbei, du steigst aus, dir ist ein bisschen schwindlig, aber da ist auch dieses herrliche, kleine Triumphgefühl irgendwo zwischen Bauch und Herz, das so schön kribbelt. You did it. Hast dich nicht gedrückt, hast dich nicht versteckt, sondern deinen Mutmuskel trainiert. Gratuliere! Du bist bereit für die nächste Fahrt. Die wird vielleicht noch wilder. Aber du weißt ja jetzt, wie’s geht.

Viel Spaß auf der Fahrt und viele holy moments!

Big, wild love

Laya

 

Titelfoto: Kinson Leung on Unsplash
Foto „Ängste“:  Joshua Sortino on Unsplash
Foto „ausgebrannt“: Abbie Bernet on Unsplash

  • Danke, liebe Laya 🙂
    Wieder einmal beschreibst du auf wunderbare Weise, was einfach so ist, wie es ist…..
    Und zeigst auf, dass es halt einfach so ist, wenn man mitten im Leben steht – als Mensch 🙂

    ? Andrea

    • Liebe Andrea,

      oh ja, das Menschsein. Wenn wir es als Tor zur Unendlichkeit verstehen – indem wir es ganz und gar annehmen und durchdringen, anstatt uns darüber hinwegsetzen zu wollen – dann, ja dann… holy moments 😉

      Alles Liebe
      Laya

  • Ohhh danke, liebe Laya- dies kommt mal wieder zur richtigen Zeit!!
    Ich wollte mir diesmal nichtmal die Zeit für dinen wundervollen Newsletter gönnen, weil alles so dermaßen wirbelt und ich dauernd meine, keine Minute Pause machen zu dürfen. Und dann hatte ich heute beim Aufwachen beschlossen, dass ich mir Zeit gönne…langsam mache, Pausen mache, auftanke und mich zwischendurch verwöhne.
    Als der newsletter kam, dachte ich „hm, dazu reicht aber meine Zeit echt nicht, ich muss doch noch…“ Da musste ich sehr breit grinsen über mich, hab mir einen köstlichen Kaffee gekocht und mir deine Zeilen gegönnt.
    DANKE für die kostbaren Anregungen. Und alles alles Gute für dich.
    Übrigens: nach einer Yogatussi klingts DU wahrlich nicht ;o)
    Claudia

    • Das klingt ja nach einer ganz wunderbaren Synchronizität, liebe Claudia 🙂
      Ich finde ja, wenn wir uns gönnen, mal langsam zu machen und Pausen einzulegen, dann können wir danach wieder super schnell und effektiv sein – aber ohne das Gefühl des Hetzens. Und so will ich leben und arbeiten!

      Yoga-Tussi ist übrigens ein Spitzname, den mir mal eine Freundin gegeben hat, ich finde ihn charmant 😉 Und meine Retreat-Teilnehmerinnen letzten Sommer auf Korfu haben mir den Titel „Die Madonna unter den Eso-Schnallen“ verliehen. Ich fühlte mich sehr geehrt, hihi

      Alles Liebe
      Laya

    • Oh yesss, pink-geflügelte, langbeinige Yoga-Urgesteine! Dagegen haben Einhörner, die Regenbögen pupsen, keine Chance 🙂

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