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Das geschieht, wenn du dich deinen Ängsten stellst 

 Mai 21, 2020

Im Minutentakt überprüfe ich den Wetterbericht.

Vielleicht regnet es ja doch.

Hoffentlich.

Bei Regen werden keine Fallschirmsprünge durchgeführt.

Im Übrigen: Welche Tarantel hat mich eigentlich gebissen, dass ich mich für einen solchen Sprung angemeldet habe? Welche Mutter, bitte schön, begibt sich freiwillig in eine solche Gefahr und riskiert, dass ihr Kind als Waise aufwachsen muss?

Mist, es regnet nicht.

Und schon sitze ich bibbernd vor Angst 4000 Meter über der Erde in einem schrottigen alten Flugzeug, trage einen seltsamen Anzug und bin fest an einen Mann namens Manfred geschnallt.

Na schön, denke ich, Zurück gibt es jetzt keines mehr.

Und dann springen wir, Manfred und ich.

Welches Geschenk ich mir damit gemacht habe, geht weit über das unbeschreibliche Glücksgefühl hinaus, das ich hatte, als ich wieder festen Boden unter den Füßen spürte.

Das Geschenk, das ich mir gemacht habe, war das eines größeren Lebens.

Denn ich weiß nun, dass ich Dinge tun kann, vor denen ich Angst habe.

Ich kann sie sogar freiwillig tun, nicht nur dann, wenn ich dazu gezwungen bin.

Und jedes Mal, wenn ich mich meinen Ängsten stelle, durch sie hindurchgehe und auf der anderen Seite mutiger und stärker herauskomme, schenke ich mir Freiheit. Befreie ich mich aus den Fesseln der Angst, lasse ich mich ein Stück weniger von ihnen limitieren und auf eine Version von mir zusammenschrumpfen, die weit von dem entfernt ist, wer ich sein könnte in dieser Welt.

Das Leben schrumpft oder dehnt sich aus,
proportional zum eigenen Mut.
~ Anaïs Nin

 

Mein Leben ist okay. Aber ist das genug?

Das fragte sich die charmante Michelle Poller, und ihre Antwort war ein klares Nein. Als ihr klar wurde, dass es ihre Ängste waren, die sie von dem Leben abhielten, das sie wirklich leben wollte, machte sie sich selbst zum Versuchskaninchen und stellte sich jeden Tag einer ihrer Ängste.

Ihr Experiment „100 days without fears“ ist mittlerweile legendär. Michelle ist im Bikini durch New York gelaufen, hat mit einer Riesenboa geschmust und Schnecken gegessen, ist von einer Klippe gesprungen und hat auf der Straße um Geld gebettelt.

Schnell wurde ihr dabei klar, dass es nicht nur diese youtube-tauglichen Triumphe gegen die Angst sind, um die es geht.

Um eine Gehaltserhöhung ansuchen.

Einen sicheren Job kündigen.

Klare Grenzen setzen.

Um Hilfe bitten.

Jemanden enttäuschen.

Allein auf Reisen gehen.

Genau das sind die Dinge, vor denen wir Angst haben. Und auf der anderen Seite dieser Ängste wartet SIE auf uns – die köstliche Freiheit eines Lebens, das sich immer weiter ausdehnt.

 

Was ist deine Lieblings-Angst?

Michelle Poller hat sieben Kategorien von Ängsten identifiziert: Angst vor Schmerz, Angst vor Gefahr, Angst vor Peinlichkeit, Angst vor Zurückweisung, Angst vor Ekel, Angst vor Einsamkeit und Angst vor Kontrollverlust.

Welche Ängste am stärksten ausgeprägt sind, ist von Mensch zu Mensch verschieden. Ich zum Beispiel habe kaum Angst vor Einsamkeit. Aber Zurückweisung ist ein großes, großes Ding für mich, und einen Konflikt mit jemandem zu riskieren, der mir wichtig ist, kostet mich jedes Mal viel Mut.

Aber immer, wenn ich noch klarer für mich einstehe als beim letzten Mal, erweitern sich die Grenzen meines Lebens, und ganz neue Dinge werden möglich.

 

Davor, Mittendrin und Danach

Die Situationen in unserem Leben, in denen es wirklich gute Gründe für Angst gibt, sind rar. Säbelzahntiger sind ausgestorben, verhungern werden wir so schnell nicht, und erfrieren vermutlich auch nicht.

In allen anderen Situationen fabriziert unser Gehirn unsere Ängste. Oft sind sie unbegründet, denn das, wovor wir uns fürchten, ist in den meisten Fällen viel weniger schlimm, als unser Gehirn uns weismachen will. Je mehr wir unsere Ängste ignorieren, desto mächtiger werden sie.

Das „Davor“ ist am schlimmsten. Unser Gehirn versucht zu verhandeln. Fährt alle Waffen auf, von „Das ist unverantwortlich“ bis zu „Zuhause auf der Couch ist es viel schöner“.

Das Spannende ist: Wir können unser Gehirn benutzen, um unser Gehirn mit seinem Hang zum Katastrophisieren zu überlisten – zum Beispiel, in dem wir uns das best case Szenario vorstellen statt das worst case Szenario. Oder indem wir uns immer wieder damit verbinden, wer wir sein und welches köstliche Leben wir führen möchten.

Das „Mittendrin“ ist meist gar nicht mehr so schlimm. Und das „Danach“ ist purer Triumph!

 

Die gute alte Komfortzone

„The enemy of success is comfort, not failure“, meint Michelle Poller.

Wie auch immer wir „Erfolg“ für uns definieren: Ich finde, sie hat recht.

Als mein Sohn noch klein war, bin ich ÜBERALL mit ihm hingefahren. Habe ihn auf den Rücksitz und Zelt, Buggy, und sonst noch allerlei in den Kofferraum gepackt, und los ging es.

Aber ab dem Zeitpunkt, zu dem ich meinen Liebsten kennengelernt habe, saß ich kaum noch hinter dem Steuer. Aus Bequemlichkeit. Und weil ich es genossen habe, dass endlich mal jemand anderer für meine Sicherheit und die meines Sohnes verantwortlich ist.

Nach einiger Zeit habe ich bemerkt, dass ich ängstlich werde, wenn es ums Autofahren geht. Ich wollte nicht mehr selbst fahren, schon gar keine langen Strecken, in der Nacht, oder über enge und kurvige Straßen.

Aber … hey Moment mal! Wie sehr schränke ich mich damit ein? Welche Abenteuer verpasse ich, wenn ich der Ängstlichkeit das Steuer überlasse, anstatt mich selbst dahinter zu setzen?

Nicht mit mir!

Bewusst bin ich ich ab diesem Zeitpunkt wieder stundenlang über monotone Autobahnen gebrettert, habe mich geschmeidig in Kurven gelegt (mein italienischer Fahrstil ist hinlänglich bekannt ;-)), und habe mich bei dunkelster Nacht auf verschlungenen Wegen verirrt, trotz GPS.

Bequem war das alles nicht.

Aber wunderbar lebendig.

Und intensiv.

 

Was wirklich mutig ist, entscheidet der Augenblick

Ein paar Jahre nach meinem Tandemsprung wollen mich Freund*innen im Griechenland-Urlaub zu einem Bungee-Sprung überreden.

Aber ich will nicht. Es ist eine Zeit, in der mir mein Leben schon genug Herausforderungen präsentiert, und in der ich ohnehin neunzig Prozent meiner Tage außerhalb der Komfortzone verbringe.

„Komm schon, sei kein Angsthase!“, raunt mein innerer Antreiber.  „Wie kann man nur so zickig sein“, meckert mein innerer Kritiker.

Aber ich weiß: In diesem Moment ist es mutiger, NICHT zu springen – auch wenn meine Freund*innen mich dann womöglich für eine Memme halten.

Brave does not mean feeling afraid and doing it anyway.
Brave means living from the inside out. 
Brave means, in every uncertain moment,
turning inward, feeling for the Knowing,
and speaking it out loud.
~ Glennon Doyle

Ich hatte große Angst davor, alleine von Florenz nach Assisi zu pilgern. Ich hatte große Angst davor, mich selbstständig zu machen. Ich hatte große Angst davor, bei hohem Wellengang von einer thailändischen Insel zur anderen zu schippern.

Gemacht habe ich das alles trotzdem.

Die Angst wird nicht weniger, aber mein Vertrauen in mich selbst wächst.

Und meine Neugier.

Auf das, was auf der anderen Seite der Angst auf mich wartet.

  • Toll geschrieben liebe Laya! Ich kann das nur bestätigen: in der Therapie meiner Angsterkrankung ging es anfangs täglich darum: was fürchte ich – und jetzt tu ich es erst recht. Angst ist eine gute Beraterin aber eine schlechte Herscherin 😉

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