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Einmal JA und wieder zurück 

 Juli 12, 2015

Ein klares und eindeutiges N – E – I – N in jeder Faser meiners Körpers. Aber – was ist das? Mein Mund öffnet, sich, meine Lippen formen ein Wort … und heraus kommt … ein … JA! Putzig, dieses kleine Ding mit den zwei Buchstaben. Nur: Wenn es erst mal draußen ist, gibt es kein Zurück mehr. Oder doch?

Das Schlimme ist, dass ich es längst weiß: Ich bin eine Automatic-Yes-Machine (*) und das beste Beispiel dafür, dass der freie Wille eine Illusion ist. Am selben Tag, an dem ich mir aufgrund leichter Schwindelgefühle angesichts dessen, was bis Jahresende noch zu tun ist, schwöre, die Notbremse zu ziehen, sage ich Ja zu einem neuen redaktionellen Projekt. Schon in dem Moment, in dem die beiden heimtückischen Buchstaben meinen Mund verlassen, weiß ich, dass ich einen Fehler begehe, dass ich die hundertsiebenundviertigtausendste Ehrenrunde in einem Muster drehe, dass ich gerade Ja gesagt habe zu Zeitnot, Stress und Überforderung. Ich weiß auch, dass der Preis dieses Jas viele viele Neins sind: Nein zu gemütlichen Abenden am Sofa mit Musik und Kerzenschein, nein zu Frühstück mit FreundInnen am Wochenende, nein zu ausreichend Schlaf.

Noch schlimmer ist, dass der Grund für meine Nein-Schwäche gar nicht die Angst davor ist, andere zu enttäuschen. Schließlich habe ich Cheryl Richardsons Buch „The Art of Extreme Self Care“ nicht nur gelesen, sondern inhaliert. Im Kapitel „Let me disappoint you“ erzählt Cheryl, wie es ihr gelang, nicht mehr stets ein „good girl“ sein zu wollen. Ihr Coach schlug ihr vor, ein ganzes Monat lang jeden Tag einen Menschen zu verärgern.  Aus dieser Erfahrung scheint sie klug geworden zu sein, denn sie hat folgenden Nein-sag-Leitfaden entwickelt:

1) Kauf dir Zeit. Antworte nicht sofort auf eine Bitte oder Anfrage, und lass die betreffende Person von vornherein wissen, dass deine Antwort durchaus kein Ja sein muss.

2) Check dein Bauchgefühl. Stelle dir zwei Fragen: „Auf einer Skala von 1 bis 10 – wie sehr möchte ich das wirklich tun?“ und: „Wenn ich wüsste, dass diese Person nicht verärgert, bestürzt oder enttäuscht wäre, würde ich dann Nein sagen?“

3) Sag die Wahrheit direkt, anmutig und liebevoll. Unter Umständen kannst du die Person fragen, ob du etwas anderes für sie tun kannst, damit sie die Unterstützung bekommt, die sie braucht.

Die Wahrheit ist in meinem Fall, dass ich mittlerweile ganz gut darin bin, die Erwartungen und Hoffnungen anderer auf einigermaßen elegante Weise zu enttäuschen, zumindest wenn es darum geht, Kuchen für Schulveranstaltungen zu backen, Weihnachtsgeschenke zu basteln oder bei Familienfeiern aufzutauchen. Ich habe gelernt, die Enttäuschung bei dem/der FragestellerIn zu lassen und mich an all die Situationen zu erinnern, in denen ICH an MEINEN unerfüllten Erwartungen gewachsen bin.

Wozu ich einfach nicht Nein sagen kann, sind all die reizvollen Ideen und Projekte da draußen, die Sprachen und Instrumente, die ich noch nicht gelernt, die Körperkünste, Yogastile, 12-Wochen-Proramme und Ernährungsweisen, die ich noch nicht ausprobiert, und die spannenden Ausbildungen, die ich noch nicht gemacht habe.

Die Anzahl der ehrlichen, aus ganzem Herzen kommenden und dir selbst gegenüber liebevollen Jas ist begrenzt. Jedes Nein, das du aussprichst, verleiht dir und deinen Jas Würde. 

Du musst keine Automatic-No-Machine werden. Und für so manches Ja lohnt es sich, auch mal unvernünftig zu sein, über die eigenen Grenzen zu gehen und wertvolle (zeitliche wie emotionale) Ressourcen anzuzapfen, die dann anderswo fehlen. Dennoch…

  • Nein ist nicht die einzige Alternative zu Ja. Du hast die Wahl zwischen  „Noch nicht“ oder auch „Ja, aber anders“ – und findest vielleicht sogar noch weitere Optionen.
  • Einem Ja darf ein „Lieber doch nicht“ folgen. Es ist zwar nicht ganz einfach, die beiden schnellen Buchstaben wieder zurückzunehmen, wenn sie einmal entschlüpft sind, aber es lohnt sich, es auszuprobieren. Erstens, weil es eine wunderbare Möglichkeit ist, dich deinem Gegenüber ehrlich mitzuteilen, Fehler einzugestehen und Verantwortung für dich selbst zu übernehmen. Und zweitens weil es die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass du beim nächsten Mal KEIN unüberlegtes oder vorschnelles Ja aussprichst.

 

Ja … aber Nein

Ein Freund, der bei einem großen Hardware-Hersteller arbeitet, hat mir von seinen indischen ArbeitskollegInnen erzählt. Ihr kultureller Hintergrund verbietet ihnen, auf die Frage, ob sie ein technisches Detail verstanden hätten, mit „no“ zu antworten. Als Folge kommt es häufig zu einem „YES … BUT NO!“

Auch diese Möglichkeit werde ich inhalieren.

I’m as proud of what we don’t do as I am of what we do.
~ Steve Jobs

 

Dieses Zitat habe ich in Alexandra Franzen’s Blogbeitrag mit dem schönen Titel „How to say ’no‘ to everything“ gefunden.

(*) Thanks to Cheryl Richardson for this expression.

 

Foto: Daniel Schneider, Model: Christina Ablinger

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