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Noch eine Runde auf dem Karussell 

 März 27, 2017

Es gibt Bücher, da überkommt einen auf den letzten Seiten heftiger Abschiedsschmerz. Es ist, als müsste man sich von einem guten Freund trennen, der einen ein Stück des Weges begleitet, der einen getröstet, angefeuert und inspiriert hat. Und doch mischen sich Freunde und Dankbarkeit unter den Abschiedsschmerz, weil man weiß: Nichts, was dieser Freund einen gelehrt hat, geht verloren. Was er uns geschenkt hat, was wir im Herzen empfangen haben, währt ewig. „Noch eine Runde auf dem Karussell“ ist so ein Buch. Ein intelligentes und kritisch, gleichzeitig aber warmherziges, tröstliches und weises Buch.
Ein Buch, in dem es vordergründig um Krebs und Krankheit, um Sterben und Tod geht. Um die Errungenschaften, aber auch um die Grenzen und Blindheiten der Schulmedizin. Um die Vorzüge und Weisheiten, aber auch um die haarsträubenden Absurditäten und Auswüchse alternativer und ganzheitlicher Heilzugänge. Im Grunde aber geht es in diesem Buch um die großen und letztendlichen Fragen der Menschheit. Was ist der Mensch – als Individuum und als Teil der Schöpfung? Wie können wir in Einklang leben – mit der Natur, mit Mutter Erde? Wie können wir die Balance finden zwischen einem zurückgezogenen, „verinnerlichten“ Leben und dem Einbringen unserer Gaben, unseres Wissens und Könnens in dieser Welt?
Tiziano Terzani war ein bekannter Journalist und Korrespondent, Asien-Kenner, begnadeter Geschichten-Erzähler und ewig Reisender, bis ihn die Diagnose Krebs mit 59 Jahren unvermittelt aus seinem gewohnten Leben riss. Interessanterweise empfand er dieses abrupte Ende seiner Karriere und seines gewohnten routiniert-abenteuerlichen Lebens als Erleichterung. Endlich konnte er seine Identität, die er nur noch als Last empfand, aufgeben. Endlich hatte er eine  „Legitimation“, um sich zurückzuziehen und nicht mehr am Gesellschaftsleben teilzunehmen.
Terzani ging in eine New Yorker Krebsklinik, rasierte vorsorglich Kopfhaar und Bart, begab sich in die Hände der besten Mediziner, und lies sich dann mit allem behandeln, was die Onkologie zu diesem Zeitpunkt anzubieten hatte: Operation, Chemotherapie, Bestrahlung. Nachdem er all dies überlebt hatte, ging Terzani sich auf eine neue Art von Reise – auf die Suche nach anderen, ganzheitlicheren Heilzugängen nämlich. Nicht als Ersatz für die allopathische Medizin, sondern als Ergänzung dazu. Und auch, um all das Gift und die Belastungen, die sein Körper während der Krebstherapie ertragen hatte müssen, wieder aus seinem System zu bekommen. Mit Reiki beschäftigt Terzani sich und mit Homöopathie. Mit Kräuterheilkunde und mit Ayurveda. Mit Yoga, Qigong und Klangtherapie. In Hongkong trifft er einen Milliardär, der sich der Herstellung eines Krebsmedikaments aus einem geheimnisvollen Pilz verschrieben hat. In Indien begibt er sich in verschiedene Ayurveda-Kliniken, nur um dann das eigens für ihn hergestellte Tonikum, das neben verschiedenen Kräutern vor allem aus Rinderpisse besteht, heimlich angewidert wegzuschütten. Auf den Philippinen macht er Bekanntschaft mit Geistheilern, die mit bloßen Händen Tumore aus Menschen herausoperieren – Tumore, die sich dann allerdings als Hühnerinnereien herausstellen.

Er meditiert in Pyramiden, denen besondere Heilkräfte und Energiekonzentrationen nachgesagt werden. Drei Monate lang bleibt er bei einem Swami in einen Ashram, um zu beten und zu chanten, Sanskrit zu lernen und sich mit der Vedanta-Lehre auseinanderzusetzen. Sich dem Swami zu Füßen zu werfen wie die anderen Shishas (Schüler), das bringt er allerdings nicht übers Herz. Und dass er nicht zum Mönch geboren ist, wird ihm nach einigen Wochen im Ashram auch klar. Die Abschiedsworte des Swamis allerdings nimmt er mit auf den weiteren Weg:

 

„Lebt ein Leben, in dem ihr euch wiedererkennen könnt.“

Obwohl Terzani stets skeptisch bleibt, gefallen ihm viele Ansätze der ganzheitlichen Heilmethoden. Den Menschen heilen, indem man ihn als körperlich-geistig-spirituelles Wesen wieder ins Gleichgewicht bringt, anstatt eine Krankheit zu beseitigen – dem kann er nach den Erfahrungen mit den New Yorker Onkologen einiges abgewinnen.

Dennoch wirft seine Reise mehr Fragen auf, als dass sie Antworten geben würde: „Können wir einer ganzheitlichen Medizin vertrauen, ohne ein ganzheitliches Leben zu führen?Denn das bedeutet viel mehr, als zu meditieren, Tee zu trinken, seine Yoga-Übungen zu machen, sich mit Naturkräutern zu behandeln und sich durch dies alles ganzheitlich zu fühlen im siebenunddreißigsten Stockwerk eines New Yorker Wolkenkratzers oder meinetwegen auch in einem noblen Apartment der Mailänder Innenstadt.“

Irgendwann hat Terzani genug. Genug von der Suche im Außen. Er spürt einen Ruf, er spürt einen Sog, eines ergibt das andere, und schließlich landet er als Einsiedler in einer Hütte vor der atemberaubenden Kulisse des Himalaya. Es gibt keinen Strom, es gibt kein Telefon. Es gibt den Wald, die Berge, den Himmel, die Krähen, die Jahreszeiten. Hin und wieder besucht Terzani einen weisen Alten, der nicht unweit von ihm in einer anderen Hütte wohnt.
„Sind es Krankheiten, die zum Tod führen, oder ist es der Tod, der zu Krankheiten führt?“, fragt ihn dieser einmal. Und ein andermal meint der Alte: „Es sind ja nicht wir, die die Wahrheit suchen. Es ist die Wahrheit, die uns sucht. Wir müssen uns nur darauf vorbereiten.“ Alle zwei, drei Wochen steigt Terzani hinab ins Dorf, um sich mit dem Notwendigsten zu versorgen. Ansonsten ist er allein mit sich und der Stille – einer Stille, die alles mögliche hervorbringt. Jede Nacht steht er in der Dunkelheit auf, um den „Kerzentrick“ zu vollziehen. Um seinen Geist zu sammeln und zu klären, starrt er in eine Kerzenflamme – genau so, wie der Alte es ihm beigebracht hat. Langsam findet er zu innerem Frieden. Doch als der geborene Italiener für einen Sommer in seine Heimat und zu seiner Familie zurückkehrt, ist es mit dem Frieden auch schon wieder vorbei. Terzani ist gereizt, hält den Lärm nicht aus, hält die Menschen nicht aus, ist angewidert vom Wahnsinn des modernen Lebens. Also kehrt er zurück in seine Hütte am Dach der Welt. Irgendwann jedoch zieht es ihn wieder zurück ins Leben. Nach den Anschlägen des 11. September engagiert er sich politisch, schreibt seine „Briefe gegen den Krieg“, ist wieder voll in seiner Kraft.
Dann eine Routineuntersuchung in New York mit schlechten Neuigkeiten. Der Chirurg, der in operieren sollte, macht den Bauch mit 58 Stichen wieder zu – unverrichteter Dinge. Eine weitere, lebensverlängernde Chemotherapie lehnt Terzani ab. Stattdessen geht er zurück in seine Hütte. Will eine andere, eine höhere Art von Gesundheit finden –  eine, die die Krankheit mit einschließt.
„Unsere Einstellung zum Tod ist verfehlt. Wir verbinden ihn mit Furcht, Schmerz, Finsternis. Genau das Gegenteil können wir in der Natur beobachten, in der die Sonne jeden Tag in einer freudestrahlenden Lichtexplosion ,stirbt‘ oder die Pflanzen im Herbst auf dem Höhepunkt ihres Daseins in einer grandiosen Fülle von Farben dahinscheiden“, so schließt er aus all seinen Erfahrungen der vergangenen Jahre. Und: „Wir müssen natürlicher leben, weniger verlangen und mehr lieben, dann wird auch die Zahl der Erkrankungen wie meine zurückgehen. Und anstatt nach neuen Medikamenten gegen solche Krankheiten zu suchen, sollten wir lieber so zu leben versuchen, dass sie erst gar nicht entstehen.“ 
„Noch eine Runde auf dem Karussell“ erschien im Jahr 2004. Im gleichen Jahr starb Terzani, zurückgezogen in seinem Haus auf dem Apennin. Tiziano Terzani: Noch eine Runde auf dem Karussell: Vom Leben und Sterben

Big wild love, Laya

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  • Dieses Buch hat mich auch zutiefst berührt und viele meiner seichten Hoffnungen, wir könnten den Tod und Krankheit durch geschickte Lebensführung irgendwie austricksen, mitgenommen. Ich werde es jetzt, wo du so schön darüber schreibst, gleich nochmal zur Hand nehmen 🙂
    Judith

    • Ja, genau! Wir können viel tun für ein „gutes“ Leben. Aber Krankheit und Tod sind nicht zum Austricksen da. Im besten Fall sind sie weise Berater – Freunde, die uns zeigen, wie Leben gelingen kann 🙂
      Viel Spaß beim Lesen
      Laya

  • Vielleicht ist es ja auch eine grundsätzliche kulturelle Illusion von uns West-Zivilisations-Menschen, dass wir das Leben in der Hand haben, dass wir unser Glück bei Anwendung all der Rezepte masschneidern können. Vielleicht ist es eher so, dass wir paradoxerweise das Glück und den Frieden finden, wenn wir uns dem durch innere Führung entstehenden Leben voll anvertrauen, und nicht abspringen, wenn’s einmal in die Geisterbahn hineingeht … die schönen Dinge nehmen wir ja eh meistens bereitwillig an, ….. und immer wieder ruft die Liebe.

    • Lieber Josef, vielen Dank für dieses starke Bild – wenn die Fahrt mal in die Geisterbahn hineinführt … dann geht’s einfach ums DA bleiben in dem Vertrauen, dass man irgendwann irgendwo auch wieder rauskommt 🙂
      Allmachtsfantasien und Machbarkeitswahn können uns tatsächlich gewaltig im Weg stehen auf dem Weg zu echtem Frieden, da hast du Recht 🙂
      Herzlich
      Laya

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