Beim Erstgespräch machte der junge Mann durchaus einen sympathischen und bescheidenen Eindruck. Und obwohl irgendetwas in meinem Bauch „Mh-mh, das geht nicht gut“ grummelte, sagte mein Kopf: „Gib ihm wenigstens eine Chance!“
Und rate mal, wer sich durchgesetzt hat 🙂 Dabei bin ich längst keine Automatic Yes Machine mehr … oder doch?
Der Tag der Unterrichtsprobe.
Alle Schülerinnen sind schon da, nur D. fehlt noch. Knapp vor Stundenbeginn trudelt er schließlich ein, verirrt sich zunächst in der – gar nicht so weitläufigen – Yogalounge und murmelt irgendetwas Unverständliches, als er endlich den Raum betritt. D. rollt seine türkisgemusterte Matte aus, erklärt den anwesenden Damen, dass er eine advanced class halten wird und fragt, ob englischer Unterricht für sie okay ist. So weit, so gut.
Die Stunde beginnt im Stehen mit Schütteln und Balanceübungen. Keine Atem- oder Körperwahrnehmung, kein Ooommm. Na schön, mal was anderes. Dann turnt D. uns ein paar geschmalzene Vinyasas vor, denen keine der Anwesenden – mich eingeschlossen – folgen kann. Wir schnaufen, schwitzen, schweigen und werfen uns vielsagende Blicke zu.
D. scheint davon nichts zu bemerken. Auch er schwitzt, und sein knappes Shirt verrutscht im Seitstütz so, dass seine Brustwarzen zum Vorschein kommen. Weiter geht es mit Krähe, Pfau, Kopfstand und einer abenteuerlichen Schulterstandvariante. Ich schicke ein Stoßgebet gen Himmel, dass sich niemand verletzen möge.
Fünf Minuten vor Schluss. Jetzt müsste eigentlich Savasana kommen. Aber …
D. blickt auf die Uhr. We still have time for handstand!
Wir können uns das Lachen fast nicht verbeißen, geben aber unser Bestes, um uns nichts anmerken zu lassen.
Die Stunde endet, wie sie begonnen hat: Im Stehen. This was it, sagt D.
Waaaaas? Kein Savasana?
Come on, D., du weißt schon. Die Sache mit der Tiefenentspannung.
No Savasana, no Yoga – schon vergessen?
Das für mich wirklich Spannende kommt aber danach. Was mach ich jetzt? Wie verklickere ich ihm, dass er EHER NICHT bei uns unterrichten wird?
Und schon ist sie da, die Wahrheitssprecherin.
Freundlich, aber direkt erkläre ich D., dass sein Stil nicht zu uns passt. Dass das, was er macht, für mich Akrobatik ist (und als solche natürlich ihren Wert hat), aber nicht Yoga (Atembewusstheit? Körperwahrnehmung? Geistesschulung? Hä?).
Aber nicht genug damit. Ich knalle dem Youngster auch vor den Latz, dass ich seinen Yang-orienten Stil für sehr einseitig halte, und dass es wohl hauptsächlich seinem männlichen Ego zu verdanken ist, dass er Haltungen vorzeigt, die für die anwesenden Schülerinnen viel zu anspruchsvoll, wenn nicht gar gefährlich sind.
D. schlägt sich wacker und bedankt sich für mein Feedback. Er sei es gewohnt, sagt er, mit Menschen zu arbeiten, die sich improven wollen.
Darauf sage ich nichts mehr. Für mich geht es im Yoga nicht um Selbstverbesserung, sondern um radikale Selbstakzeptanz. Es geht nicht darum, etwas zu erreichen, sondern das willkommen zu heißen, was ist. Aus dieser liebevollen Haltung heraus erwachsen übrigens oft die erstaunlichsten Entwicklungsschritte – aber D. das vermitteln zu wollen hieße wohl, mein Pulver umsonst zu verschießen.
Wie auch immer – ich bin stolz auf mich. Noch vor wenigen Jahren hätte ich niemals so klare Worte gefunden, hätte mich herumgeschummelt und um den heißen Brei herumgeredet.
Aber ich habe wohl oft genug den Löwen gemacht!
Simhasana ist DIE Yoga-Übung, die dir hilft, deine Wahrheit auszusprechen, anstatt hinterher zu denken: Hätte ich doch.
Im Übrigen soll der Löwe auch die Falten glätten. Wir wollen uns zwar nicht selbst verbessern, aber dazu sagen wir nicht Nein, oder?
Rooooooar! So funktioniert’s:
Komm in den Fersensitz mit aufgestellten Zehen. Zentriere dich, nimm deinen Atem wahr. Dann atme tief ein, und in der Ausatmung springst du mit den Händen nach vorne, streckst deine Zunge weit heraus, rollst mit den Augen und lässt ein markerschütterndes Gebrüll los. (Für den Anfang reicht auch ein Babylöwen-Fiepen. Keine Sorge, das wird schon.)
Dann ziehst du die Zunge wieder ein, kommst zurück in den Fersensitz und spürst nach. Wiederhole noch zweimal oder so oft du Lust hast!
Es gibt auch andere Simhasana-Varianten, und du musst auch nicht unbedingt springen. Aber ich mag diese Variante am liebsten, weil sie unendlich kraftvoll und befreiend ist.
Probier’s einfach öfter mal aus! Vielleicht sagst du dann deinem Chef beim nächsten Mal klipp und klar, dass du nicht mehr Arbeit schaffen kannst, anstatt dich hinterher grün und blau zu ärgern, weil du deinen Mund nicht aufbekommen hast, und nun unter Bergen von Akten versinkst … Oder du gibst deinen Kids deutlich zu verstehen, was du von vergammelten Jausenbroten in der Schultasche hältst, anstatt diese grollend im Biomüll verschwinden zu lassen und danach aus lauter Frust die Schoko-Lade zu plündern 🙂 Oder … lass dich überraschen!
Jetzt bin ich natürlich neugierig:
Was hilft dir, deine innere Wahrheit auszusprechen?
Hallo Laya,
gratuliere zum ehrlichen Feedback für den Lehrer! Ich hätte garantiert rumgeeiert bis zum Selbsthaß. Warum ist es bloß so schwer, einfach zu sagen was man/frau meint?
Ein Gutes haben so Stunden, wo einer bloß performt und die Teilnehmer nicht sieht, ja doch: ich als Teilnehmerin bin radikal herausgefordert, mich und meine Grenzen wahrzunehmen und sie eine Stunde lang aktiv umzusetzen. Das kann auch mal eine gute Yogastunde sein, seinem inneren Lehrer absolut zu vertrauen und den äußeren mit Staunen machen zu lassen …
Frohe Ostern,
anna
Liebe Anna, das stimmt! Ich sage das manchmal zu neuen SchülerInnen, dass der innere Lehrer immer die höchste Instanz ist, und dann kommt laaaaaange nichts, und dann erst die Yogalehrerin 🙂
Allerdings ist es oft nicht einfach, den inneren Lehrer, den inneren Schweinehund und die innere Polizistin auseinanderzuhalten…
Frohe Ostern auch dir, und liebe Grüße an JKK 🙂
Laya