Priming & Pruning: Wie 10 Minuten am Morgen dein Gehirn umprogrammieren

Laya Commenda Expertin für Mind-Management sitzt schreibend auf einem Sofa und primt ihren Mind

Ich muss dir ein Geständnis machen:

Ich reise niemals ohne meine rosarote, herzförmige Plüsch-Wärmflasche.

Wirklich niemals.

Nicht mal, wenn ich nach Thailand oder Andalusien fliege.



Meine Reise-Buddies finden das sehr amüsant.

„Du fliegst nach Südspanien. Im August. Mit einer Wärmflasche?!“

Ähm, ja. Genau.

„Wenn ihr wüsstet, wie sehr ihr davon profitiert!“, denke ich dann, ebenfalls amüsiert.

Die Wärmi-Marotte hatte ich schon, bevor ich mich intensiv mit Neuro-Hacking beschäftigt habe.

Aber heute weiß ich, was die Wärmi – bzw. die Wärme – mit mir macht.

Dazu gibt es faszinierende Forschungsergebnisse. Und was die mit deiner optimalen Morgenroutine zu tun haben, erzähle ich dir gleich.


Die Kaffeestudie: Wie Temperatur deine Wahrnehmung hackt

2008 führten die Psychologen Lawrence Williams und John Bargh ein Experiment durch, das so simpel wie verblüffend war.

Ahnungslose Versuchspersonen trafen im Aufzug auf eine Assistentin mit vollen Händen – Bücher, Klemmbrett, akademisches Chaos. Sie bat die Versuchsteilnehmer:innen, kurz ihren Kaffeebecher zu halten, damit sie sich wieder organisieren konnte.

Die eine Hälfte bekam heißen Kaffee in die Hand, die andere Eiskaffee.

Was die Teilnehmenden nicht wussten: Das war bereits das eigentliche Experiment.

Danach sollten sie eine fiktive Person anhand einer neutralen Beschreibung einschätzen. Das Ergebnis?

Die „Heiß-Kaffee-Gruppe“ bewertete die Person als warmherzig, großzügig und fürsorglich. Die „Eiskaffee-Gruppe“ war deutlich kühler in ihren Urteilen.

Im zweiten Durchgang wurden andere Teilnehmer:innen gebeten, die Qualität von therapeutischen Heizkissen oder Kühlpacks zu bewerten. Danach durften sie sich ein Geschenk aussuchen: entweder für sich selbst oder für jemand anderen.

Die mit den warmen Kissen wählten signifikant häufiger ein Geschenk für einen Freund oder eine Freundin. Sie waren buchstäblich großzügiger geworden.

Ein simpler Temperaturreiz. Ein paar Sekunden. Und schon sind Wahrnehmung und Verhalten komplett anders geprimt.

Du siehst also: Es liegt hauptsächlich an meiner Wärmi, dass ich eine so angenehme und großzügige Reisepartnerin bin! ☺️

Priming: Die unsichtbare Software deines Lebens

Wenn ein kurzer Kontakt mit einem kalten oder heißen Getränk ausreicht, um deine Wahrnehmung zu verändern – was macht dann der Rest deines Tages mit dir?

Die erste Schlagzeile, die du morgens liest? Primt dich.

Der genervte Tonfall deiner Teenager-Kinder beim Frühstück? Primt dich.

Das Wetter, die Musik, die erste E-Mail? Alles Priming.

Dein Gehirn ist wie ein DJ, der im Hintergrund die Stimmung mischt. Es nimmt jeden kleinen Hinweis auf. Und dann greift es auch noch auf alte Prägungen und Erfahrungen zurück – die gemeine Bemerkung deiner Klassenlehrerin als du sechs warst, der Junge im ersten Semester an der Uni, der dich abblitzen hat lassen, und so weiter. Aufgrund seiner negativity bias wählt das Gehirn dafür hauptsächlich negative Erfahrungen, die in der Scham, Schuld oder Zweifel an deinem Selbstwert ausgelöst haben. Weil es dich schützen will.

Aus all dem komponiert es die Grundmelodie deines Tages. Aber das bist nicht du, die die Playlist wählt.

Die Frage ist also nicht ob du geprimt wirst.

Die Frage ist: Von wem? Und womit?

Entweder du übernimmst bewusst die Regie – oder die Zufälle des Lebens übernehmen sie für dich.

Beziehungsweise andere Menschen.

Ein kalter Kaffee. Eine schlechte Nachricht. Ein griesgrämiger Blick. Und schwupps – dein Gehirn ist auf „Modus: Missmut“ eingestellt, bevor der Tag noch richtig begonnen hat.

Aber es geht auch anders.

Was wäre, wenn du jeden Morgen ganz bewusst entscheidest, mit welcher „Temperatur“ du in den Tag gehst?

Wenn du die erste Note spielst, bevor andere die Melodie für dich komponieren?

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Pruning – der geniale Nebeneffekt von Priming

Jetzt wird’s noch interessanter:

Bewusstes Priming hat einen unglaublich wertvollen Nebeneffekt – automatisches Pruning.

Pruning ist wie neuronales Gärtnern. Oder Kleiderschrank-Ausmisten.

Dein Gehirn beschneidet die Verbindungen, die du nicht nutzt. Gleichzeitig stärkt es die, die du aktivierst. Es ist wie bei einem Baum: Was nicht gebraucht wird, wird abgeschnitten. Was gebraucht wird, wächst – und bekommt mehr Kraft und Energie.

Und hier kommt das Geheimnis:

Du kannst nicht gleichzeitig dankbar sein und ängstlich.

Du kannst nicht gleichzeitig an dein Best Possible Self denken und an das Worst-Case-Scenario.

Du kannst nicht gleichzeitig Fülle sehen und Mangel fühlen.

Wenn du bewusst primest – also dein Gehirn jeden Morgen auf Dankbarkeit, Möglichkeiten, Großzügigkeit einstimmst – dann geschieht etwas Wunderbares:

Die angstvollen, pessimistischenund kleinlichen neuronalen Pfade werden automatisch beschnitten. Nicht, weil du sie bekämpfst. Sondern einfach weil du sie weniger benutzt.

Du formst dein Gehirn. Mit jedem bewussten Gedanken. Mit jeder bewussten Emotion. Mit jeder bewussten ersten Zeile des Tages.

Je öfter du das tust – jeden Morgen, mit „Write the Tune“ – desto klarer wird das Bild. Die alten neuronalen Bahnen werden schwächer. Die neuen immer stabiler. Das, was du kultivieren willst, wird mit der Zeit automatisch.

Bis es irgendwann dein neues Normal ist.

Bis es einfach ist, wer du bist.

Wie du die Welt siehst.

Und dich selbst.

Die erste Zeile des Tages gehört dir


Wenn du nicht selbst die erste Zeile deines Tages schreibst, schreibt sie jemand anderer. Ein kalter Kaffee. Eine Push-Nachricht. Ein verspäteter Zug. Oder deine doofe Lehrerin aus der ersten Klasse.

Aber du hast die Wahl.

Du kannst jeden Morgen zehn Minuten investieren, um bewusst zu primen, was in dir wachsen soll.

Um die neuronalen Pfade zu stärken, die dich zu der Person machen, die du sein willst. Um ganz nebenbei zu prunen, was nicht mehr zu dir passt.

Das ist angewandte Neurowissenschaft mit Stift und Papier.

P.S.: Du musst keine rosa Plüsch-Wärmi mit auf Reisen nehmen (obwohl … ich kann’s wirklich sehr empfehlen!)

Aber zehn Minuten „Write the Tune“ am Morgen – die solltest du dir nehmen. Dein Gehirn wird es dir danken. Dein Future Self auch. Und die Menschen um dich herum sowieso.

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