Ich stehe vor der Tür eines Gebäudes, das eher aussieht wie ein schäbiges Casino als ein Restaurant.
Und das mitten in Tennant Creek – eines staubigen 3.000-Seelen-Nests im Nirgendwo des australischen Outbacks.
Wir sind hungrig, der Liebste und ich.
Hinter uns liegt eine endlose Fahrt im Campervan. Vor uns laut Google Maps: keine einzige kulinarische Alternative im Umkreis von 300 Kilometern.
Also gut.
Wir nehmen, was wir kriegen können.
Bevor wir eintreten dürfen, nehmen uns zwei bärige, dunkelhäutige Männer unsere Ausweise ab. Sie scannen sie ein, sagen wenig – und was sie sagen, verstehen wir kaum. Ihr Englisch ist rau, schwer zu dechiffrieren.
Dann betreten wir das „Bistro“ – eine Mischung aus Pub, Spielhölle, Sportclub und … etwas, das ich nicht benennen kann. Etwas, das ich noch nie gesehen oder erlebt habe.
Hier tummeln sich die Einheimischen von jung bis alt. Und alles fühlt sich unendlich fremd an.
Befremdlich. Roh. Echt. Laut.
Nichts an diesem Ort entspricht meinem Geschmack.
Keine Spur von Raffinesse, Ästhetik, Seele oder subtiler Sorgfalt.
Kurz gesagt:
Kein Ort, an dem ich mich wohl fühle.
Kein Ort, an dem ich nach einem langen Fahrtag entspannt essen möchte.
Kein Ort, der meinem Körper gut tut – geschweige denn meine Seele nährt.
Und doch:
Genau der Ort, an dem ich gerade sein will!
Weil ich Abenteuer liebe.
Weil ich Erfahrungen liebe, die mein Weltbild erschüttern.
Weil ich es liebe, in Welten einzutauchen, die so ganz anders sind als meine – auch wenn allein der Gedanke, hier leben zu müssen, mich schaudern lässt.
1. Psychologischer Reichtum vs. Wellbeing
Nicht alles, was unser Leben reich macht, fühlt sich im ersten Moment wohlig an.
Nicht jede Erfahrung, die uns wachsen lässt, ist schön.
Und genau das ist der Punkt:
Psychologischer Reichtum entsteht nicht in der Kuschelzone. Sondern an den Rändern dessen, was uns vertraut ist.
Es entsteht dort, wo Vertrautes aufbricht.
Dort, wo wir nicht konsumieren, sondern erleben.
Wo wir nicht nur funktionieren, sondern verunsichert staunen.
Ein psychologisch reiches Leben ist ein Leben voller Tiefe, Komplexität, emotionaler Intensität und intellektueller Reibung.
Ein Leben, das nicht immer bequem ist – aber voller Geschichten, die es wert sind, erzählt zu werden.
2. Was bisher geschah: Hedonismus & Eudaimonia
Wenn es um Konzepte für unser Lebensglück und unser Aufblühen ging, war die Positive Psychologie bisher zweigleisig unterwegs:
👉 Einerseits wurden die Faktoren für ein GLÜCKLICHES Leben erforscht – also eines mit vielen positiven Emotionen, mit Genuss, mit Freude. „Hedonisches Wohlbefinden“ ist der Fachbegriff dafür.
Höheres Einkommen, höherer sozio-ökonomischer Status, Job-Sicherheit und finanzielle Sicherheit tragen zu dieser Art von Lebensglück bei. Vor allem aber glückliche Beziehungen, sowohl mit Lebenspartner:innen als auch mit Freund:innen, Nachbar:innen, und so weiter.
Aber nicht nur diese äußeren Faktoren sind wichtig – sondern auch innere Faktoren, wie zum Beispiel eine optimistische Grundhaltung. Eine dankbare Lebenseinstellung. Die Bereitschaft, sich mit dem Unperfekten zufrieden zu geben und glückliche Momente zu feiern und zu „sammeln“.
👉Andererseits wurden die Faktoren eines SINNVOLLEN Lebens erforscht. Also eines Lebens, das im Einklang mit den eigenen Werten gelebt wird, das einen größeren Sinn ergibt, und vielleicht auch im Dienst von „etwas Größerem“ steht, zu dem man etwas beitragen möchte. Der Fachbegriff für diese Art von Lebensglück lautet „eudäimonisches Wohlbefinden“.
Um ehrlich zu sein:
Ich fand diese beiden Säulen des menschlichen Lebensglücks immer schon ein wenig „Naja“ 😉
Einerseits so offensichtlich.
Und andererseits so unvollständig.
Und ein wenig langweilig, oder?
Natürlich hat dieses Zwei-Säulen-Modell seine Berechtigung — aber es reicht nicht aus, um das volle Spektrum eines erfüllten Lebens zu erfassen.
Und hier kommt die dritte Säule ins Spiel:
3. Das fehlende Puzzlestück: Psychologischer Reichtum
Psychological Richness (Oishi & Westgate, 2021) ist das neue, dritte Paradigma. Es bedeutet ein Leben voller Vielfalt und Tiefe. Voller emotionaler Kontraste. Voller Veränderungen und Herausforderungen.
Ein Leben voller persönlicher Transformation.
Ein psychologisch reiches Leben ist kein Dauerurlaub auf der Sonnenseite — es ist ein wilder Tanz durch Stürme, Klarheit, Sehnsucht, Scheitern und Neuanfang.
„What matters most is how well you walk through the fire.“
— Charles Bukowski
Dieses Zitat verkörpert psychologischen Reichtum in Reinform: nicht das angenehme, glückliche Leben zählt, sondern das mutige, das transformierende.
Das, in dem du durchs Feuer gehst – sogar freiwillig – und nicht davor fliehst.
Und wenn du eines Tages auf dein Leben zurückblicken wirst, wird es kein langweiliger Roman sein im Sinne von „Ich war immer glücklich und habe schön brav im Einklang mit meinen Werten gelebt, bin keine Risiken eingegangen, bin kaum je gescheitert, hatte keine tiefen Krisen und bin nie ins tiefe Wasser gegangen, dorthin, wo ich keinen Grund mehr unter den Füßen spüren konnte.“
Es wird kein flacher Instagram-Feed aus Wohlgefühl und Wellness sein, sondern ein Roman voller Wendepunkte, ein poetisches Meisterwerk aus Tiefe, Mut und Wandlung.
“A psychologically rich life is full of variety and emotionally profound experiences that change the way you think about the world and yourself.”
— Oishi & Westgate
>> Hier geht’s zum Artikel von Oishi & Westgate (seeeehr empfehlenswert!)
4. Warum psychologischer Reichtum dich reicher macht
Studien zeigen: Menschen mit hohem psychologischen Reichtum berichten von mehr Lebenssinn, Selbstentwicklung und Rückblick ohne Reue (Oishi et al., 2021). Sie sind oft weltoffener, kreativer und widerstandsfähiger gegen Krisen.
Denn was macht ein Leben erinnerungswürdig?
Die Momente, in denen wir gezittert haben, und trotzdem gesprungen sind.
Die überraschenden Wendungen und Wandlungen, die nur geschehen können, wenn wir uns dem Leben in die Arme werfen, uns ihm anvertrauen und Kontrolle abgeben.
Die Geschichten, die wir einander erzählen können, jenseits des Trivialen und Alltäglichen.
Ich habe noch keine Enkelkinder, aber manchmal denke ich daran, dass ich ihnen eines Tages viel zu erzählen haben werde, sollte ich welche bekommen.
Dieser Gedanke macht mich glücklich.
5. Warum gerade Frauen in der Lebensmitte das brauchen
Die Lebensmitte ist kein Abstieg, sondern ein Portal.
Ein Ruf nach innen, der, wenn er beantwortet ist, weiter hinaus und tiefer hinein ins Leben führt.
Dieser Ruf ist oft auch ein Weckruf: „War das schon alles?“
Viele Frauen in dieser Phase sehnen sich nicht nach mehr Komfort, sondern nach mehr Lebendigkeit. Nicht nach noch mehr Funktionieren, sondern nach einem tieferen Sinn.
Nicht nach Zufrieden-Geben, sondern nach neuen Abenteuern und Expansion.
Genau hier wirkt psychologischer Reichtum wie ein Lebenselixier. Er ermöglicht dir
- den Sprung aus alten Rollenbildern
- die Entfaltung deines kreativen Potenzials
- das Schreiben eines neuen, mutigen Kapitels
6. Raus aus der Comfort Zone, rein in die Courage Zone
Psychologischer Reichtum entsteht selten im Sicherheitsmodus. Er lebt von Kontrasterfahrung, Unsicherheit, emotionaler Intensität.
Psychologischer Reichtum beginnt in deiner Vorstellung — und wird real, wenn du deine Komfortzone verlässt.
Wenn du Ja sagst zu Erfahrungen, die dich verwandeln.
Dem ängstlichen Ego wird das Angst einjagen.
Aber du bist größer als diese Angst – und du wirst um so viel stärker und widerstandsfähiger sein, wenn du sie überwunden hast!
“You can choose courage or you can choose comfort. You cannot have both.”
– Brené Brown
“Discomfort is the price of admission to a meaningful life.”
– Susan David
7. Was wächst, muss auch Wurzeln schlagen
Wachstum braucht Integration – sonst überholst du dich selbst – und wirst am Ende schrumpfen.
(Glaub mir, ich weiß, wovon ich spreche. Diesen „Fehler“ habe ich oft genug gemacht, und einen hohen Preis dafür bezahlt…)
So sehr psychologischer Reichtum durch neue Erfahrungen entsteht – durch Tiefe, Fremdheit, Wagnis und emotionale Intensität – so sehr braucht er auch Phasen der Integration.
Denn innere Wandlung geschieht nicht im Moment der Herausforderung, sondern danach – in der Stille, der Reflexion, im bewussten Verarbeiten. Wenn wir von einer Erfahrung zur nächsten hetzen, ohne innezuhalten, kann unser Nervensystem nicht nachkommen. Teile von uns bleiben zurück.
Unintegriertes Wachstum fühlt sich an wie ein innerer Riss. Wie ein Leben, das nicht ganz mitkommt. Es kann zu Selbstsabotage führen, zu Erschöpfung, oder zum vielzitierten Upper Limit Problem (Gay Hendricks, The Big Leap), bei dem wir uns selbst zurückhalten, sobald zu viel Gutes geschieht. Nicht, weil wir es nicht wollen – sondern, weil ein Teil von uns es noch nicht glauben kann.
Deshalb gilt: Wachstum braucht Weite. Und Weite braucht Ruhe.
Der Mut zur Erfahrung gehört genauso dazu wie der Mut zur Pause.
Zum Verweilen. Verdauen. Integrieren.
Erst dann wird aus reich gelebter Erfahrung ein innerer Reichtum, der bleibt.
8. Fazit: Schreibe Geschichten, sammle Geschichten
„No guts, no story“ – „Kein Mumm, keine Geschichte“.
Dieses Lebens-Motto mag ich sehr.
Ich will, dass mein Leben voller spannender, lustiger, bewegender, verändernder Geschichten steckt.
Ein erfülltes Leben ist nicht immer glücklich, aber immer bedeutungsvoll. Es ist nicht immer bequem, aber tief und reich.
Dieser Reichtum beginnt nicht auf deinem Konto, sondern in deinem Inneren.
In der Bereitschaft, die Unsicherheit zu umarmen, ihr entgegenzugehen.
Den vertrauten Hafen zu verlassen.
Die Segel zu setzen und Fahrt aufzunehmen.
Dorthin, wo jede Menge Überraschungen auf dich warten!




7 Antworten
And
As i
Read your story
Full of adventurous woohoo
My mind opens
S(w)inging inspired
JUUUHUUU
Happy New Week Ahead😀 THANK YOU ❤️ ❤️ ❤️ ❤️ ❤️
Hallo liebe Laya,
mich würde jetzt doch noch noch interessieren wie denn das Essen in der Pubspielhölle war? : )
Lilly und ich haben neulich eine ähnliche Reiseefahrung machen dürfen, statt wie gedacht in einer idyllischen Pension in Como zu übernachten, so der Plan, strandeten wir, da unser Flixbus rausgewunken wurde und in eine Polizeikontrolle geriet, die so laaaange andauerte, dass die besagte Pension bereits geschlossen hatte, nachts um 2 Uhr an einer abgeranzten, absolut zwielichtigen Bushaltestelle in Milano. Allora. Es war Messe, die meisten Hotels, die wir in unserer Not anriefen ausgebucht. Nur ein Hotel an der Autostrada No. 9 bot uns ein Zimmer an. Ein überteuertes Taxi brachte uns hin, wir erwachten morgens mit Blick auf einen Mc Donald’s und einen Lidl und viel Motorenlärm, genau so wie man sich seinen ersten Urlaubstag vorstellt, haha, nach einem Kaffee im Bett war mir das alles sowas von egal. Hauptsache viel zu erzählen.
Danke für Dein gorgeous Goldstück aus dem staubgen Outback, robust & real!!! Und dass Du uns mit auf die Reise nimmst. Yeah!
Alles Liebe
Yvonne
Liebe Laya
Danke für dein Goldstück heute✨
Einfach goldig, deine Zeilen. Genau, was ich gerade brauche, um meinen – sehr eigenen, andersartigen – Weg weiter zu gehen🌈🌺☀️
This PIÈCE OF GOLD touches me deep!
What a exciting life … each single one
THANK YOU SO MUCH , LAYA!
💞
Whhhhoooooo jaaaaaa lass uns erleben und leben…. und schreiben 😇 unsere Geschichten und sie uns selbst vorlesen.
Danke für diese wunderbare Goldstück.
Jetzt habe ich ein neues Motto…statt no risk no fun…no guts, no story….viel besser. 😊😘
Vielen Dank für dieses MUT-MACHENDE Goldstück! ♥️