In Marrakesch habe ich diese Woche Störche über den wolkenlosen Himmel ziehen sehen.
Natürlich wusste ich auch vorher schon, dass Störche auf ihrem Flug in den Süden verrückte Distanzen zurücklegen. Aber erst nachdem ich selbst nach Marokko geflogen und diese Vögel dort beobachtet habe, wurde mir klar, was das wirklich bedeutet.
Es gibt Zugvögel, die von Alaska nach Neuseeland fliegen – und zwar ohne Zwischenstopp. Sie fliegen bis zu 12.000 Kilometer, ohne Rast, und ohne Nahrung zu sich zu nehmen. Nach acht bis elf Tagen erreichen sie ihre Destination und bleiben dort für ein paar Monate – bis der nächste Ruf sie ereilt, und sie sich auf den Rückflug machen.
Irgendeine geheimnisvolle Kraft scheint diesen Tieren zu ermöglichen, die Grenzen des physisch Machbaren hinter sich zu lassen.
Irgendein inneres Wissen flüstert ihnen zu, wann es Zeit ist, sich in die Lüfte zu schwingen, und dorthin zu fliegen, wo sie so leben können, wie es ihrem Wesen entspricht.
Ist es Sehnsucht? Oder Instinkt?
Und sind die beiden vielleicht gar nicht so unähnlich?
Wer weiß.
Wieso nicht auch beim Menschen?
In den vergangenen Tagen habe ich viel über Zugvögel nachgedacht.
Und darüber, warum ich mich ihnen so wesensverwandt fühle.
Warum ich jedes Mal eine tiefe Verbundenheit in mir spüre, wenn ich beobachte, wie sie sich im Herbst sammeln, wie sie einander rufen und Schwärme bilden.
Sie scheinen auch mich zu rufen.
„Komm mit uns“, scheinen sie mir sagen zu wollen, „dorthin, wo du so leben kannst, wie es deinem wahren Wesen entspricht!“
Wieso nehmen diese Vögel solche Strapazen auf sich, um dem Winter zu entfliehen, während andere einfach in der Kälte überwintern?
Wieso machen manche Tiere Winterschlaf und andere nicht?
Wieso brauchen manche Pflanzen pralle Sonne, und andere würden sofort eingehen, würden wir sie nicht in den Schatten stellen?
Ich stelle mir vor, jemand würde zu den Zugvögeln sagen: „Ihr bleibt jetzt schön zuhause! Andere halten den Winter auch aus, also werdet ihr das ja wohl auch schaffen, statt euch auf ein so absurdes Abenteuer einzulassen!“
Zu Tieren und Pflanzen würden wir nicht so sprechen. Wir bewundern, wie verschieden sie sind, und respektieren, was sie brauchen, um zu blühen und zu gedeihen.
Wieso ignorieren wir das alles bei uns Menschen?
Aufblühen geht nur unter besten Bedingungen
Positive Psychologie ist die Wissenschaft des Aufblühens.
Wie können wir wachküssen, was wirklich in uns steckt?
Wie können wir ein zutiefst sinn-erfülltes Leben führen?
Wie müssen wir uns im Inneren ausrichten, um ein gutes und glückliches Leben kreieren zu können?
Das sind zentrale Fragen.
Das Faszinierende ist: Niemand würde von einer Pflanze erwarten, in ihrer vollen Größe und Schönheit zu erblühen, wenn sie keine Sonne (oder zu viel davon) bekommt, wenn wir sie nicht (oder zu viel) gießen, und wenn wir ihr nicht die Nährstoffe zugestehen, die sie braucht, um zu gedeihen.
Und dann denk an uns Menschen.
Wir leben in einem post-industriellen, spät-kapitalistischen und digitalen Zeitalter.
An diesem Zeitalter gibt es wenig, was dem wahren Wesen des Menschen gerecht wird.
Menschen brauchen Rhythmus und Pausen, um kreativ sein und ihre volle Schaffenskraft entfalten zu können. Sie brauchen Raum zu atmen, ohne ständigen Druck und chronischen Stress.
Menschen brauchen die Natur, brauchen körperliche Nahrung, die sie mit allem versorgt, was sie benötigen, um ihr Potenzial zu entfalten. Menschen brauchen aber auch Schönheit, Inspiration und seelische Nahrung, um wirklich zu erblühen.
Und Menschen brauchen andere Menschen – und zwar nicht nur den einen Lebenspartner, die eine Lebenspartnerin, sondern ein Netz an liebevollen, tragfähigen und inspirierenden Beziehungen. Wir brauchen Gemeinschaften, die uns ein Gefühl der Zugehörigkeit und Sicherheit schenken, um uns in unserer Einzigartigkeit erleben und ausdrücken zu können.
Zweite Pfeile, die uns vergiften
Wir dürfen nicht vergessen, dass die erste Welle der Positiven Psychologie von weißen, alten Männern wie Martin Seligman, Mihaly Csikszentmihalyi und Christopher Peterson dominiert wurde.
Wir verdanken diesen Männern vieles.
Aber wir müssen uns auch bewusst machen, dass sie ihre eigene Bias hatten, was den Blick auf Glück, Erfüllung und Aufblühen betrifft. Ihre Perspektive war die privilegierter, männlicher US-Amerikaner. (Csikszentmihalyi hatte zwar Wurzeln in Kroatien / Italien und Ungarn, emigrierte aber mit 22 Jahren in die USA).
Die zweite und dritte Welle der Positiven Psychologie haben gezeigt, dass diese Perspektive nicht nur viel zu eindimensional ist, sondern unserem Lebensglück sogar abträglich sein kann.
Eines der Basis-Konzepte der Positiven Psychologie besagt, dass nur etwa zehn Prozent unseres Lebensglücks von äußeren Umständen abhängen. Der Rest ist eine Frage der Genetik (ca. 50 Prozent) und der Perspektive, der Ausrichtung, der inneren „Glücks-Arbeit“ (ca. 40 Prozent).
Dieses Konzept stammt von Sonja Lyubomirski, also nicht von einem alten, weißen, amerikanischen Mann, sondern von einer Frau, die aus Russland stammt. Aber auch sie emigrierte schon als Kind in die USA und arbeitet überwiegend in der dortigen akademischen Tradition.
Sonja Lyubomirskis berühmter „Glücks-Kuchen“ ist großartig, aber auch er hat seine Tücken – denn er kann dazu führen, dass wir „zweite Pfeile“ auf uns schießen, die uns vergiften.
Konzepte wie diese bewirken oft, dass wir uns selbst Vorwürfe machen oder denken, wir würden’s einfach nicht auf die Reihe kriegen, weil wir noch immer nicht glücklich sind – wo es doch nur auf die innere Ausrichtung ankommt.
Vieles hängt von der inneren Ausrichtung ab, aber nicht alles.
Wir brauchen auch gute Bedingungen, um aufblühen zu können. Wenn’s geht, sogar optimale.
Die gute Nachricht ist: Wir können unsere innere Ausrichtung – unser Mindset – dafür verwenden, um diese Bedingungen zu schaffen!
Darf ich das? Und kann ich es mir leisten?
Es ist Januar.
Dort, wo ich zuhause bin, ist es kalt, nass und neblig.
Während ich dieses Goldstück schreibe, ist es hier auf Gran Canaria schön warm, sonnig und mild, und der Atlantik ist nur wenige Meter entfernt. Ich verbringe ein paar Wochen mit Freundinnen, Klientinnen und Kooperationspartnerinnen in verschiedenen Konstellationen – und zum Schluss gesellen sich noch mein Mann und mein Sohn dazu.
Davor war ich mit meiner „Frau Präsidentin“ vom Verein „Feder & Fernweh“ auf Recherche-Reise in Marokko.
Ich fühle in jeder Faser meines Körpers:
DAS sind die Bedingungen, unter denen ich aufblühe!
Ich fühle mich durch und durch lebendig, glücklich, voll im Flow und strotzend vor Kreativität und Schaffenskraft.
Vor elf Jahren war ich zum ersten Mal im Winter für ein paar Wochen auf Teneriffa – auf Hochzeitsreise. Damals habe ich mir das Leben gewünscht, das ich heute führe.
Aber ich hatte keine Ahnung, wie das gehen sollte.
Mittlerweile weiß ich: Es braucht vor allem die ERLAUBNIS zu einem maßgeschneiderten Leben – und zu optimalen Bedingungen für unser Aufblühen.
Eine Erlaubnis, die Zugvögel sich nicht geben müssen.
Weil sie nicht darüber nachdenken, ob sie das dürfen. Oder ob es ihnen zusteht, dorthin zu fliegen, wo es ihnen gut geht.
Sie folgen einfach ihrer Sehnsucht, ihrem inneren Wissen – und fliegen los.
Und ja, sie nehmen dafür auch jede Menge Strapazen auf sich.
Aber sie haben die Kraft dafür.
Weil es in ihrer Natur, in ihrem Wesen liegt.
Oft werde ich gefragt, wie ich mir ein solches Leben leisten kann. Ob ich reiche Eltern hatte oder eine fette Erbschaft gemacht habe.
Habe ich nicht. Im Gegenteil, ich stamme aus eher bescheidenen Verhältnissen.
Ein solcher Lebensstil muss überhaupt nicht kostspielig sein.
Und: Wenn ich meinem inneren Ruf folge, brauche ich viele Dinge NICHT, für die andere Menschen viel Geld ausgeben.
Wenn wir unserer Sehnsucht nach einem wesens-gerechten Leben folgen, ergibt sich das „Wie“ von selbst. Wir finden Wege und Möglichkeiten, die wir zuvor nicht sehen konnten, weil wir in alten Paradigmen und Normen gefangen waren.
Der Preis des ungelebten Lebens
Die Frage ist also nicht: Kann ich mir das leisten?
Die Frage ist: Kannst du es dir leisten, ein Leben zu führen, das NICHT deinem wahren Wesen entspricht?
Und welchen Preis hat DAS?
Welches Risiko gehst du damit ein?
Der Preis des ungelebten Lebens ist hoch.
Die meisten Menschen unserer Eltern-Generation haben ihn bezahlt, weil sie keine Wahl hatten.
Wir haben die Wahl, du und ich. Aber es braucht die innere Erlaubnis zu einem Leben, das uns glücklich macht und zutiefst erfüllt, um diese Wahl treffen zu können.
Um unserem inneren Wissen zu folgen und uns zuzugestehen, was wir brauchen, um in unserer ureigensten Schönheit, Größe und Würde zu erblühen.
4 Antworten
Gestern Abend habe ich auch einen Schwarm Zugvögel gehört, sehen konnte ich ihn leider nicht, da uns hier in Norddeuschland seit Tagen ein kalter Nebel die Sicht in den Himmel nimmt. In dem Moment war sofort der Wunsch in mir, es diesen Vögeln gleich zu tun und einfach dorthin zu fliegen, wo ich mich richtig wohl fühle. Nächsten Winter gebe ich mir die Erlaubnis dafür und werde zum Zugvogel 😉 Danke für deine Inspiration, liebe Laya! Mit deinem Text sprichst du mir aus der Seele.
Mmmhhh, Synchro! Wir surfen auf der gleichen Welle, liebe Dana. Ganz liebe Grüße von einer Zugvogelseele zur anderen!💞
Wie wunderschön. Wie berührend. Wie stimmig. Ich habe Tränen in den Augen und mein Herz ist erfüllt von deinem Mut, deiner Wahl und deiner Ehrlichkeit. Schön, dass du jetzt auf der Sonnenseite bist und ich sehe dich spätestens in Triest. Freue mich mit dir! Von Herzen
Du wunderschöne, berührbare Frau! Ich freu mich sehr auf Triest und aufs Feiern mit dir … und wer weiß, wo auf diesem schönen Planeten unsere Wege sich sonst noch kreuzen werden!🥰