Ich lade ein paar Freundinnen zu mir nachhause ein und freue mich wie ein Honigkuchenpferd darüber, mal wieder Zeit für einen Mädlsabend zu haben. Eine Stunde, nachdem ich die Einladung geschickt habe, schaue ich auf mein Handy. Noch keine einzige hat auf mein SMS geantwortet.
„Die haben alle schon etwas Besseres vor“, denkt es in mir. „Niemand mag mich!“ Meine Freude ist wie weggeblasen, meine Stimmung rutscht schlagartig in den Keller.
{Natürlich haben sich alle über die Einladung gefreut und wir hatten einen fabelhaften Abend miteinander. Alles nur im Kopf … }
Am frühen Morgen sitze ich auf dem Fahrrad, unterwegs zu einem Frühstück mit einem Freund. Es ist Sommer, am Himmel nicht ein einziges Wölkchen, ich trage ein kurzes, luftiges Kleid und fühle mich blendend.
Die Frau an der Bushaltestelle wirft mir einen Blick zu. „Eigentlich bin ich viel zu alt, um mit so einem Kleid Rad zu fahren“, denkt es in mir. Plötzlich ist der herrliche Sommertag gar nicht mehr herrlich, ich zupfe verschämt an meinem Kleid herum, und meine Laune sinkt von einer Sekunde auf die andere auf den Nullpunkt.
Ich trinke Kaffee mit einer Freundin und genieße das Mommie-Geplauder mit ihr. Da erzählt sie, wie viel sie schon für ihren kleinen Sohn angespart hat, damit er später an einer Elite-Uni studieren kann, ohne nebenbei arbeiten zu müssen. „Ich habe gerade mal einen Bausparer und ein mickriges Sparbuch für meinen Sohn“, denkt es in mir. „Als Mutter bin ich eine Katastrophe!“ Meine Mundwinkel sinken nach unten, meine Schultern ziehen sich nach oben, und augenblicklich verdüstert sich mein Gemüt.
Ja. Genau das passiert, wenn wir den Fehler machen zu glauben, was wir denken.
„Ein Gedanke ist harmlos, solange wir ihn nicht glauben. Es sind nicht unsere Gedanken, es ist die Anhaftung an unsere Gedanken, die Leid verursacht. Einem Gedanken anzuhaften, bedeutet, ihn zu glauben, ohne ihn zu untersuchen. Und ein Glaubenssatz ist ein Gedanke, dem wir oft schon jahrelang anhaften.“
~ Byron Katie
Und fertig ist die Abwärts-Spirale!
Unsere Gedanken erzeugen Gefühle, unsere Gefühle erzeugen Stimmungen, verursachen bestimmte Körperhaltungen und entscheiden in weiterer Folge über unser Verhalten. Voilá – fertig ist die Spirale!
Ob sie sich aufwärts oder abwärts dreht, hängt ganz vom ursprünglichen Gedanken ab.
Meistens bemerken wir all das aber gar nicht. Scheinbar aus heiterem Himmel landen wir in einem Stimmungstief, fühlen uns unwohl, unrund, ungeliebt, deprimiert oder frustriert, und wundern uns, wohin der Sonnenschein verschwunden ist, der eben noch unser Leben erhellt hat.
Und meistens kommen wir gar nicht auf die Idee, uns zu fragen: Was habe ich eigentlich gedacht, bevor es mit meiner Laune bergab ging?
{Unlängst schlug Sabrina Fox in einem Interview vor, sich in einem solchen Fall zwei weitere Fragen zu stellen, nämlich: „Was habe ich gesehen?“ und „In welcher Umgebung befinde ich mich?“ Finde ich sehr klug – denn auch die Umgebung hat großen Einfluss auf unsere Stimmung und unser Energielevel!}
Gedanken, die zu stimmungsmäßigen Abwärtsspiralen führen, sind fast immer Bewertungen – Rückschlüsse, die mit der aktuellen Situation gar nichts zu tun haben, sondern ihre Ursache in unserer persönlichen Geschichte haben. Die meisten Situationen sind im Grunde neutral:
Niemand hat bisher auf mein SMS geantwortet.
Die Frau an der Bushaltestelle wirft mir einen Blick zu.
Meine Freundin spart, damit ihr Sohn eine Elite-Uni besuchen kann.
Und was macht das Gehirn daraus? Dramen. Oder zumindest Probleme. Oder Gründe, mich schlecht zu fühlen. Und ich glaube ihm das alles auch noch!
Was machst du, wenn ich dich in den Arm zwicke?
Stell dir vor, ich zwicke dich in den Arm – und zwar ganz schön fest. Genau wie die meisten anderen Menschen würdest du wahrscheinlich aufjaulen und das Ganze ziemlich unangenehm finden.
Aber „psychologisches Zwicken“ ist etwas anderes als körperliches. Jede/r von uns hat andere wunde Punkte und trägt andere alte Verletzungen mit sich herum. Auf die exakt gleiche Situation reagiert der eine Mensche so und ein anderer völlig anders – je nach seiner individuellen Vorgeschichte, die wiederum bestimmt, wie er die Situation bewertet.
Eines meiner zentralen Themen ist zum Beispiel die Angst vor Ablehnung. Jemand anderer würde mit ziemlicher Sicherheit völlig andere Schlüsse aus der Tatsache ziehen, dass niemand sofort auf sein SMS reagiert. Mein inneres Kind (dessen erste Erfahrung hier auf Erden die einer existenziellen Ablehnung war) interpretiert das jedoch gleich mal als „Ich werde abgelehnt.“
„Wenn ich einen Raum betrete, weiß ich, dass mich alle Menschen darin lieben. Ich erwarte allerdings nicht, dass sie es bereits wissen.“
~ Byron Katie
Aus Gründen, die ich mittlerweile gut verstehe, neige ich außerdem dazu, zu glauben, als Mutter nur dann gut genug zu sein, wenn ich zu 150 % perfekt bin. Andere Frauen sind da weitaus entspannter – weil sie eine andere persönliche Geschichte haben als ich.
„Ich sage zu meinen Kindern: ,Ihr habt die perfekte Mutter, ich bin verantwortlich für all eure Probleme, und ihr seid verantwortlich für die Lösungen.‘“
~ Byron Katie
Umgekehrt könnten mich hundert Menschen als dumm, ungebildet, faul oder oberflächlich bezeichnen – das ließe mich völlig kalt, denn an meiner Intelligenz, meinem Engagement oder meinem Tiefgang habe ich noch nie gezweifelt. Hier trage ich offensichtlich keine (Kindheits-/Scham-)Wunde in mir, sondern habe ein gesundes Selbstwertgefühl.
Werde zum Gedanken-Ninja!
Wenn wir schlechte Stimmungen und unangenehme Gefühle bis zu dem Gedanken, der sie ausgelöst hat, zurückverfolgen – und noch weiter bis zu der Situation, in der der Gedanke aufgetaucht ist –, dann merken wir: Einzig und allein unsere Bewertung hat die Negativ-Spirale ausgelöst hat!
Diese Einsicht gibt uns die Freiheit, beim nächsten Mal die Situation anders zu bewerten.
Wir haben die Möglichkeit, den Sekundenbruchteil zwischen Gedanke und Gefühl zu nutzen, um die Spirale zu stoppen, noch bevor sie richtig in Schwung gekommen ist.
Je früher, desto effektiver. Und je mehr Forschungs- und Reflexionsarbeit wir leisten, desto besser werden wir darin.
Blitzschnelle Gedanken-Ninjas werden wir dann.
Lichtschwert gezückt, Reaktionskette durchtrennt, Stimmung gerettet.
Na also, geht doch!
„Zwischen Reiz und Reaktion liegt ein Raum. In diesem Raum liegt unsere Macht zur Wahl unserer Reaktion. In unserer Reaktion liegen unsere Entwicklung und unsere Freiheit.“
~ Viktor Frankl
Aber ist das nicht furchtbar anstrengend?
Anfangs vielleicht schon. Aber mit der Zeit macht es richtig Spaß, wie eine Katze vor dem Mauseloch zu sitzen, auf den nächsten Gedanken zu warten und, sobald einer auftaucht, zu entscheiden: Tut es mir gut, zu glauben, was ich da denke? Oder schwächt, entmutigt, frustriert, deprimiert es mich?
„Gedanken tauchen einfach auf. Sie kommen aus dem Nichts und gehen wieder ins Nichts zurück wie Wolken, die am Himmel entlangziehen. Sie kommen, um vorbeizuziehen, nicht um zu bleiben. Es ist an sich nichts Schädliches an ihnen, außer wir betrachten sie, als seien sie wahr.“
~ Byron Katie
Wir müssen Gedanken nicht einmal persönlich nehmen. Wir denken nicht – Gedanken tauchen auf. In den allermeisten Fällen sind sie ein Produkt unserer früheren Prägungen und Erfahrungen. Rund 95% unserer Gedanken haben wir schon gestern gedacht, und vorgestern, und vorvorgestern … Nur ganz selten taucht ein neuer, origineller Gedanke auf, oder gar einer, der ein altes Muster durchbricht und eine neue Ära einläutet.
Wir können unsere Gedanken untersuchen. Wir können entscheiden, ob wir sie weiterhin denken möchten oder nicht. Wir können sie verwerfen und loslassen.
„Es geht einfach nur darum, das Denken auf jene Fälle zu beschränken, in denen es tatsächlich seine Berechtigung hat. Dann also, wenn es unserem Wohlbefinden dient, vielleicht sogar unserem Überleben.“
~ G.C. Giacobbe
Byron Katie hat eine fabelhafte Methode aus vier Fragen entwickelt, um Gedanken und Glaubenssätze zu untersuchen und auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen (es gibt zahlreiche Bücher und andere Ressourcen dazu, siehe The Work).
In der Schreibtherapie gibt es eine ähnliche Methode – aber mit einer kleinen Abkürzung:
Schreibe einen (Glaubens-)Satz auf, den du nicht mehr denken möchtest. Zum Beispiel: „Ich bin viel zu alt, um mit einem kurzen Kleid Rad zu fahren.“
Nun machst du Nonsens-Sätze daraus, entfremdest oder verdrehst den Sinn, fügst Verniedlichungen hinzu, oder denkst dir absurde Reime aus. Zum Beispiel:
- Ich bin viel zu jung, um mit einem so kurzen Kleid Rad zu fahren.
- Das Kleid ist viel zu lang, um damit Rad zu fahren!
- Ist das Kleid zu kurz, ist mir das völlig schnurz.
- Das Kleid ist viel zu kurz, um nur damit Rad zu fahren – ich sollte Rad SCHLAGEN damit!
- Man ist nie zu alt für ein junges Kleid!
- Das Leben ist zu kurz für lange Kleider!
Allein schon diese Sätze aufzuschreiben erzeugt in deinem Gehirn Alternativen zu den mehrspurigen Denkautobahnen, die deine Glaubenssätze im Laufe der Jahre dort hinterlassen haben.
Such dir dann deinen Lieblings-Nonsens-Satz aus. Und jedes Mal, wenn du merkst, dass der alte Glaubenssatz in dir auftaucht, ersetzt du ihn durch diesen neuen Satz.
Auf diese Weise erlangst du mit der Zeit Gedanken-Ninja-Meisterschaft. Die Aufwärtsspiralen drehen sich immer schneller, und du erkennst: Alle mögen dich. Du bist eine großartige Mutter. Und dein Kleid hat haargenau die richtige Länge!