12 Dinge, die ich ich in 12 Jahren Polyamorie gelernt habe

Laya Commenda Experting für Deep Journaling und Positive Psychologie Polyamorie lebend steht vor historischen Gebäuden in Wien

Kürzlich hat der österreichische TV-Sender ORF einen Beitrag über Polyamorie gebracht, in dem auch mein Liebster und ich zu Wort kamen. Der Beitrag war kurz und blieb ziemlich an der Oberfläche. Das war nicht weiter überraschend und unter anderem dem Sendungs-Format geschuldet.

Trotzdem schade.

Die Gespräche, die der Redakteur mit uns geführt hatte, waren reichhaltig und tief. Und uns so öffentlich mit unserer Lebens- und Liebesphilosophie zu zeigen, hat den Liebsten und mich nochmal in eine tiefere Auseinandersetzung damit geführt, was „Poly“ für uns eigentlich bedeutet, wie sehr wir uns damit identifizieren oder auch nicht, und wohin dieser Weg uns wohl noch führen wird.

Polyamorie ist für mich ein Ausdruck und ein Weg der Freiheit und der Fülle, der Liebe und der Verantwortung.

Ich will garantiert niemanden davon überzeugen, dass ein polyamores Liebesleben in irgendeiner Form besser wäre als ein monogames.

Hauptsache, Liebesleben, und hoffentlich ein erfülltes, reiches, tiefes und glückliches!

Aber da es auch in meiner Arbeit mit Frauen um ein Leben in Fülle und Freiheit geht, teile ich hier 12 der Dinge, die dieser Weg mich gelehrt hat.

Manchmal auf unendlich süße und beglückende Weise, manchmal auf die verdammt harte Tour.

Lass dich überraschen!

(Zur Klärung: Polyamorie hat nichts mit Sex-Orgien zu tun, sondern damit, mehrere Liebesbeziehungen zu haben. Mein Mann und ich leben seit mehr als zwölf Jahren – also seit wir uns kennengelernt haben – in „Ethischer Non-Monogamie“. Das bedeutet, dass alles konsensual und in voller Transparenz geschieht. Seit fast elf Jahren sind wir verheiratet.)


# 1 Demut

Dieses Learning setze ich ganz bewusst an erste Stelle, denn es war wohl die wichtigste, und auch die schmerzhafteste Lektion.

Der Weg der Polyamorie hat mich vor allem Demut gelehrt.

Wie oft sind meine Ideale und meine Liebes-Philosophie krass auseinandergeklafft mit dem, was ich zu leben fähig war.

Mit dem, was ich emotional bewältigen konnte.

Wie gern wäre ich viel, viel großzügiger meinem Liebsten gegenüber gewesen, nicht so kleinlich darauf bedacht, an erster Stelle zu stehen. Wie gern wäre ich in der Lage gewesen, ihm so viel Freiheit zuzugestehen, wie er mir schenkt. Wie gern wäre ich weniger besitzergreifend und mehr im Vertrauen gewesen.

Und wie schmerzhaft ist es, mir einzugestehen: Ich kann’s (noch) nicht.

Das, was mein Kopf denkt und das, was meine Angst in meinem Herz- und Bauchraum hervorruft, sind zwei verschiedene Dinge.

Ich, die so oft im Leben ihr Herz zuerst übers Hindernis geworfen hat, die sich immer wieder ins Feuer gestellt, sich mit Haut und Haar neuen Erfahrungen und Abenteuern hingegeben hat, musste mir eingestehen:

Funktioniert hier nicht.

Auch du, mein „always-all-in“-Schätzchen, musst dein System mit Baby-Steps an emotional herausfordernde Situationen gewöhnen und das Vertrauen in dich selbst und in andere langsam wachsen lassen.

Diese Erfahrung hat mich immer wieder sehr gehumbled.

Das war aber nicht nur schmerzhaft, sondern auch sehr heilsam.

Es hat mich zärtlicher und geduldiger werden lassen mir selbst gegenüber.

Was mir geholfen hat: Achtsames Selbstmitgefühl.

Und das ehrliche Eingeständnis, dass auch ich, meines Zeichens Expertin für Emotions- und Gedankenmanagement, nur ein Mensch bin – und damit eine „Cucumber with anxiety“ (Cucumbers, also Gurken, bestehen genau wie Menschen zum größten Teil aus Wasser. Aber die Sache mit der Angst unterscheidet uns von ihnen …)

(Große Buch-Empfehlung an dieser Stelle: „Polysecure – Bindung, Trauma und konsensuale Nicht-Monogamie“ von Jessica Fern – nicht nur für Poly People eine absolut lohnende Lektüre!)

# 2 Fülle! Fülle! Fülle!

Ich erinnere mich an einen Moment in Kopenhagen vor einigen Jahren, an einem strahlend sonnigen und warmen September-Tag. Ich verbrachte eine Woche mit meinem Liebhaber aus Boston in Dänemark. Währendessen war seine Frau zuhause in den USA, mein Liebster war zuhause in Österreich.

Und uns allen ging es gut.

Ich telefonierte täglich mit dem Liebsten, und fragte ängstlich nach, ob alles okay sei, ob er mit der Situation gut zurecht komme, wie es ihm emotional ging …

„Mir geht’s blendend!“, behauptete er, und das klang absolut glaubwürdig

Dasselbe galt für die Frau meines Liebhabers. Auch ihr ging es bestens, am anderen Ufer des Atlantiks.

Zum ersten Mal konnte ich nicht nur DENKEN, sondern wirklich in jeder Faser meines Körpers FÜHLEN:

Es ist wahr.

Es funktioniert wirklich.

Wir leben in einer unendlichen FÜLLE an Liebe, Verbindungen und möglichen Beziehungen.

Und ALLEN kann es gut gehen.

Wir nehmen niemandem etwas weg, wenn wir Ja zu dieser Fülle sagen und sie empfangen, wenn wir sie leben und verkörpern.

Das hat sich einerseits völlig natürlich und selbstverständlich angefühlt, andererseits war es absolut mindblowing.

Einer der Gründe, warum ich trotz meiner Ängste Ja zu diesem Weg gesagt habe, war das Buch „The Ethical Slut“ (auf Deutsch „Schlampen mit Moral“). Als ich es las, verstand ich zum ersten Mal, dass die Norm der monogamen Partnerschaft etwas mit Mangel-Denken zu tun hat, und dass ich aus ihr ausbrechen musste, um wahre Fülle zu erfahren).

(Damit will ich nicht sagen, dass wir nicht auch in einer monogamen Paarbeziehung Fülle leben können. Worum es mir geht, ist die Wahlfreiheit. Solange wir uns nicht frei fühlen, jene Beziehungsform zu wählen, die für uns wirklich passt und die uns glücklich macht, sind wir von der Fülle des Lebens abgeschnitten.)

“One person’s abundance of love does not take away from another’s ability to love or be loved.”
Dossie Easton und Janet W. Hardy in „The Ethical Slut“

Ich erinnere mich außerdem an einen Tag kurz vor meiner ersten Hochzeit, im zarten Alter von 24. Schlagartig wurde mir bewusst, dass zu heiraten – zumindest nach meinem damaligen Partnerschaftsmodell – auch die Absicht beinhaltete, für den Rest meines Lebens ausschließlich Sex mit diesem einen Mann zu haben.

Das erschien mir einerseits völlig unmöglich; andererseits war ich damals noch verblendet genug, um zu denken: Je tiefer die Liebe, desto größer die Verzichtbereitschaft.

Ich hielt also meine Bereitschaft zum Verzicht auf die sinnliche Fülle, die mein damals noch so junges Leben für mich bereithielt, für ein Zeichen von Liebe.

Aus heutiger Sicht eine völlig absurde Sichtweise.

Liebe will Lebendigkeit, will Fülle, will Genuss, will gelebt und erfahren werden – so empfinde ich das heute.

Und ich habe den dringenden Verdacht, dass unsere Weltreligionen gehörig die Finger im Spiel hatten bei der Entstehung unserer unheilsamen Glaubenssätzen über die Verknüpfung von Liebe und Verzicht.

# 3 Ich lerne die Welt, die Menschheit und die Liebe mit dem KÖRPER

Als ich auf Weltreise war, hatte ich das Gefühl, diesen Planeten und seine Geschichte mit meinen Fußsohlen zu „lesen“.

Während ich über die Golden Gate Bridge wandelte.

Während ich meinen Trolley über das Kopfsteinpflaster von Sevilla zog.

Als ich zum ersten Mal australischen Boden betrat.

Immer hatte ich das Gefühl: Es ist mein KÖRPER, der hier Welt- und Menschheitsgeschichte „lernt“. Und das war etwas völlig anderes, als ein Buch über Geschichte zu lesen oder eine Doku über ein fernes Land anzuschauen.

Genau wie beim Reisen geht es mir in der Liebe. Ich „lerne“ Mensch-Sein mit dem Körper. Mit jedem neuen Körper, den ich berühre, lernen meine Haut, mein Herz und mein Nervensystem etwas. Etwas zutiefst Implizites, jenseits aller Worte.

Wenn ich gefragt werde, wie ich mich durch meine Weltreise verändert und was ich gelernt habe, habe ich keine Antwort.

Ähnlich geht es mir mit der Polyamorie.

Es ist ein zelluläres Wissen, für das mir die Worte fehlen. So als würden jedes Mal, wenn ich fremden Boden betrete, und jedes Mal, wenn ich mit einem neuen Partner Intimität lebe, andere Abschnitte meiner DNA aktiviert als bisher.

Auf eine Weise, die ich selbst (noch) nicht verstehe, sind Reisen und Lieben für mich zutiefst verwoben. Sie sind untrennbar. Ich fühle mich hingezogen zu Menschen mit ganz anderen Lebenswelten und kulturellen Hintergründen als den meinen. Ich habe großen Hunger und Durst danach, die Welt und ihr Mysterium auf diese Weise zu erfahren. Ich habe das Gefühl, tief in ihr Mark einzudringen, tiefer und tiefer. Ich verliere und ich finde mich, indem ich diesen Weg gehe.

Und ich befreie mich.

„Those who do not move, do not notice their chains.“
Rosa Luxemburg

# 4 Wer ich bin und sein kann, lerne ich am Du

Für meinen Liebsten bin ich eine Schmetterlingstigerin.

Für R. bin ich eine Seerose.

Für H. bin ich eine Hohepriesterin.

Für B. bin ich ein Travel Buddy.

Für P. bin ich eine Poetin.

Wer ich bin und wer ich sein kann, lerne ich in der tiefen Begegnung. Niemals hätte ich so viele Facetten in mir entdeckt, ohne mich so tief auf verschiedene Menschen einzulassen. Nie hätte ich so „ganz“ werden können, so vielschichtig, so vielfältig und agil im Selbstausdruck; nie hätte ich so viele Möglichkeiten für mich und mein Leben erkannt, ohne mich im Spiegel dieser Menschen zu betrachten. Nie hätte ich herausgefunden, dass ich „sapiosexuell“ bin. Das war eine enorm wichtige Entdeckung für mich, und hat mein Selbstbewusstsein in ganz neue Dimensionen katapultiert!

Ich bin so neugierig auf mich selbst.

Jahrzehnte lang habe ich mich vor allem in der Meditation und in anderen spirituellen Praktiken selbst erforscht. Hätte ich diese intensive Innenschau nicht betrieben, könnte ich den Weg der Polyamorie wahrscheinlich gar nicht gehen.

Heute lerne ich vor allem am Du, an der Begegnung, im gemeinsamen Erforschen und Erkennen.

Dafür bin ich unendlich dankbar.

# 5 Mix, Match & Magnetismus: Es gibt sooo viele tolle Männer!

Als ich noch Coach war, habe ich oft mit Frauen gearbeitet, die sich nach einer innigen Liebesbeziehung sehnten.

Oft hörte ich diese Frauen stöhnen: „Aber wo sind sie, die interessanten Männer? Ich lerne einfach keine kennen!“

Ich persönlich habe eine völlig andere Erfahrung gemacht. Mir kommt es vor, als würde hinter jeder Ecke ein super attraktiver und spannender Mann auf mich warten. Ich habe erstaunlich viele faszinierende Menschen kennengelernt im Laufe meiner Poly-Jahre.

Vielleicht liegt es daran, dass ich mich offen, ohne Erwartungen oder fixe Vorstellungen auf Menschen einlassen kann. Ich suche ja nichts. ich brauche auch niemanden. Jeder neue Liebhaber oder Partner ist ein willkommenes Geschenk, aber niemand muss irgendetwas „abdecken“ oder eine Lücke füllen.

Vielleicht kann ich Menschen deshalb unvoreingenommener wahrnehmen, und muss sie nicht mit einer Checkliste abgleichen, die ich mir für mögliche Partner zurechtgelegt habe.

Irgendwie macht diese Erwartungslosigkeit mich wohl auch magnetisch.

Ich „matche“ mit jemandem auf einer oder mehrerer Ebenen, die Resonanz ist da. Und da dieser Jemand nicht alles, oder zumindest fast alles, für mich abdecken und erfüllen muss, ist da ganz viel offener Raum, in dem sich die Qualität und das Potenzial der jeweiligen Verbindung fluid und organisch entfalten können.

Das erlebe ich als wunderschön, beglückend und magisch. Es ist ein Lieben jenseits von Angst und Besitz- oder Territorialdenken. Ich bin so bewegt und berührt davon, dass ich dazu fähig bin.

# 6 Liebe ist unbegrenzt, Zeit und Aufmerksamkeit sind es nicht

Jedes Mal, wenn ich einen neuen Menschen kennen und lieben gelernt habe, hat sich die Liebe zu meinem Mann vertieft.

Die Liebe vermehrt sich, je mehr wir davon geben und empfangen.

(Wenn du ein zweites, drittes oder viertes Kind bekommst, liebst du dein erstes ja auch nicht weniger…Du liebst nur jedes ANDERS.)

Liebe ist unbegrenzt.

Aber auch mein Tag hat nur 24 Stunden, auch meine Aufmerksamkeit und Energie haben ihre Limits. Schließlich brauche ich auch Zeit, um die Beziehung zu mir selbst zu pflegen. Und dann bin ich ja auch noch mit meiner „Arbeit“ verheiratet – sprich mit meiner Passion und Leidenschaft!

Zeit, Energie und Aufmerksamkeit sind begrenzt. Egal, wie viele Menschen ich lieben KÖNNTE – wenn ich tief gehen will in diesen Beziehungen, muss ich Prioritäten setzen. Mich super organisieren (möchtest du meine sieben Google-Kalender sehen? 😉). Und auch bereit sein, andere Dinge wegzulassen, für die monogam lebende Menschen Platz und emotionale Ressourcen haben.

Polyamorie kann sich schon mal wie ein Fulltime-Job anfühlen, weil sie so viel Kommunikation und Abstimmung erfordert – und auch so viel Selbstreflexion und Bereitschaft zu „own your shit“.

Manchmal macht mich das ganz schön müde, und dann singe ich den „Polyamorie-Blues“. (Ich liiiiieeeebe diesen Song von Rachel Lark! Ich habe Rachel übrigens bei einem der schrägsten Events, die ich je erlebt habe, live gesehen – bei einem Konzert-Brunch in einer ehemaligen Kirche in Oakland, San Francisco, zu dem die meisten Gäste in Plüsch-Regenbogen-Einhorn-Kostümen erschienen …. )

Aber wenn ich mich frage, ob es mir all das wert ist, ist die Antwort jedes Mal ein kristallklares JA.

Ja, ich will.

So leben und so lieben.

Das JA dazu bringt ein NEIN zu anderen Dingen mit sich.

So veredle ich mein Leben.

# 7 Whatever works

Ich liebe „Whatever works“ von Woody Allen. In diesem Film werden alle konventionellen Beziehungsmodelle über den Haufen geworfen. Nach zahlreichen Irrungen, Wirrungen und missglückten Selbstmordversuchen sind am Ende alle glücklich mit einer sehr ungewöhnlichen Beziehungskonstellation.

Ich empfinde Non-Monogamie ein Stück weit auch als „Friedensarbeit“, vor allem zwischen Männern und Frauen. Durch diese Liebes- und Beziehungsphilosophie lösen sich viele Stereotype auf, und sie hat das Potenzial, patriarchale Normen und Biases endgültig ins All zu schießen.

Und ich bin toleranter geworden. Auf meiner Weltreise habe ich unzählige Männer und Frauen getroffen, die in verschiedensten Beziehungsformen lebten. Besonders oft bin ich dem Modell „Don’t ask, don’t tell“ in offenen Beziehungen begegnet.

„Don’t ask, don’t tell“ bedeutet meist: Wir leben unsere Freiheiten – vor allem sexuell – aber wir erzählen einander nichts davon und fragen auch nicht nach.

Für mich und den Liebsten würde das NIEMALS funktionieren. Nur WEIL wir uns alles (*) erzählen – auch die Dinge, die für den / die andere:n potenziell schmerzhaft sind – können wir ein so tiefes Vertrauen aufbauen, das uns so viel Freiheit ermöglicht.

Früher dachte ich, „Don’t ask, don’t tell“ KANN gar nicht funktionieren, für niemanden!

Aber ich wurde eines Besseren belehrt. Für manche Menschen funktioniert es wunderbar und ist genau das, was sie selbst und ihre Beziehungen zum Erblühen bringt.

Mein Liebster und ich suchen und finden in der Polyamorie ganz unterschiedliche Dinge. Ich genieße sie, indem ich reise und Abenteuer erlebe, expandiere und mich immer wieder neu entdecke. Er hingegen liebt Beständigkeit und sinnliche Erfahrungen in einem geborgenen, häuslichen und freundschaftlichen Setting. Nach außen sieht das wie eine unbewältigbare Asymmetrie aus – aber für uns funktioniert es. Er gibt mir Halt und einen sicheren Hafen, ich schenke ihm Entwicklung und frischen Wind.

Whatever works, works.

Was für uns funktioniert, können wir nur selbst herausfinden – und zwar immer wieder aufs Neue.

Es gibt keine Landkarte.

Der Nordstern heißt Liebe, der Kompass zeigt auf Fülle, das Navi ist mit den Koordinaten Mut und Vertrauen programmiert.

Mehr Orientierung und Sicherheit gibt es nicht auf diesem Weg.

(*) Auch „alles“ hat seine Grenzen. Denn die Privat- und Intimsphäre anderer Partner:innen will gewahrt werden.

# 8 Make sure you like your reasons

Oft höre ich die Kritik, polyamor lebende Menschen würden nur vor der tiefen Auseinandersetzung mit dem Partner, der Partnerin flüchten, und vor schwierigen Beziehungsphasen davonlaufen.

In einem Kommentar zu einer Podcast-Episode von Esther Perel über Polyamorie schrieb zum Beispiel jemand: „The only kind of people that really want polyamory are people who don’t want the responsibility, self awareness, inner work etc that monogamy requires to have sex with just one person.“

Autsch.

Ich kann nur sagen: In unserem Fall könnte nichts weiter von der Wahrheit entfernt sein.

So viel „inner work“, wie Polyamorie mir und dem Liebsten abverlangt hat – und auch nach zwölf Jahren immer noch abverlangt – , wäre in einer monogamen Beziehung vermutlich nicht erforderlich gewesen.

Aber ich streite auch nicht ab, dass bei manchen Menschen Polyamorie eine Flucht-Strategie ist.

Eskapismus.

So, wie eben auch Reisen, Shoppen, und sogar Meditieren, Therapie, Selbsterfahrung & Co Flucht-Strategien sein können.

Wir können so ziemlich ALLES nutzen, um vor uns selbst und unseren Schmerz-Themen davon zu laufen.

Also ist Wahrhaftigkeit gefragt.

„Magst du deine Gründe?“

Diese Frage lässt dir keine Ausflüchte.

Deshalb liebe ich sie.

Ja, ich mag meine Gründe. Polyamorie ist für mich ein Weg, über meine Angst, meine Traumata, meine engen Vorstellungen und Konditionierungen hinauszuwachsen. Sie ist ein Katalysator für Entwicklung und Expansion. Sie ist einer der genialsten Ego-Crusher, die ich kenne. Für mich ist sie keine Flucht, sondern ein tiefes Eintauchen und ein offenes Erforschen dessen, was möglich ist, und wer ich wirklich bin, jenseits von kulturellen und gesellschaftlichen Prägungen und Erwartungen.

Ja, ich mag meine Gründe.

 
# 9 Knallhart am Urschmerz

Jede intime Beziehung wird uns früher oder später an unseren Ur-Schmerz heranführen, wenn wir uns wirklich tief auf sie einlassen. Umso größer sind auch die Heilungs-Chancen für die Ur-Wunde.

In der Polyamorie vervielfachen sich die Spielarten und die Intensität dieser Konfrontation mit dem Schmerz. Und damit auch die Chance auf Heilung in immer tieferen und tieferen Schichten.

# 10 Compersion ist eine Entscheidung – aber dem Trauma ist das egal

Mein Ur-Schmerz ist der des Verlassenwerdens. Und des damit verbundenen Gefühls von Wertlosigkeit – weil etwas in mir denkt und fühlt, ich sei es nicht wert, dass jemand, der mir wichtig ist, bei mir bleibt.

Ich trage sowohl ein transgenerationales, als auch ein pre-natales und ein frühkindliches Trauma in mir – und jedes dieser Traumata hat mit der Erfahrung existenziellen Verlassenwerdens zu tun.

Wenn ich eifersüchtig oder neidisch bin, kann ich mich kompetent und einigermaßen souverän regulieren. Ich kann Ängste und Unsicherheit gekonnt transformieren. Ich kann Mitfreude (Compersion) praktizieren, wann immer ich das Gefühl habe, zu kurz zu kommen und alleine auf dem Sofa zu sitzen (oder noch schlimmer: bis spät in die Nacht zu arbeiten), während andere sich köstlich amüsieren.

Es ist einfach eine Entscheidung, meinen „State of being“ von der Mangel-Frequenz hin zur Frequenz von Fülle zu shiften.

Aber: Meinem Trauma ist das völlig egal.

Wenn mein Trauma aktiviert ist, geht es nicht um hehre Prinzipien, hohe Ideale, Reframing oder Gefühls-Transformation.

Das einzige, was dann zählt, ist, jenen Teil von mir, der an existenzieller Ur-Angst leidet, in Sicherheit zu bringen.

Ich habe viele Trauma-Therapien gemacht. Sie haben geholfen und dafür bin ich sehr dankbar.

Was aber heilsamer war als jede Therapie, waren die vielen Stunden, in denen der Liebste mich gehalten hat – ganz körperlich -, wenn das Grauen meiner alten Trauma-Erfahrungen nach mir griff, und die unendliche Geduld, mit der er meinen Heilungsweg begleitet hat.

Auf diesem Weg hat er auf so manche Erfahrung verzichtet, die er gerne gemacht hätte, um mich nicht noch mehr zu verletzen, noch mehr zu re-traumatisieren.

Aus Liebe.

Ist das ein Widerspruch zu #2?

Ich glaube nicht.

Und wenn doch, dann umarme ich ihn, diesen Widerspruch, so wie die Liebe mich umarmt, mit all meinen Widersprüchen.

# 11 Was gelebt werden will

Stefan Ossmann, ein führender Forscher im Feld der Polyamorie, meint, es gäbe beides: Menschen, für die die Sehnsucht nach Viel-Liebe ein intrinsischer Teil ihres Naturells sei – und Menschen, die Polyamorie gern mal ausprobieren, aber auch in monogamen Beziehungen glücklich sein können.

Ich hatte nie das Gefühl, Polyamorie sei „in mir angelegt“, wie in anderen Menschen vielleicht Homosexualität oder Queerness.

Bei meinem Liebsten ist das anders. Wenn er Polyamorie nicht leben könnte, würde etwas in ihm sterben, sagt er. Und das, so denke ich, würde wiederum unsere Beziehung nicht überleben.

Obwohl ich selbst diese Art von Notwendigkeit oder Dringlichkeit im Zusammenhang mit Polyamorie nicht empfinde, war diese Aussage meines Liebsten doch mit ein Grund, diesem Weg zumindest eine Chance zu geben.

Denn ich kenne diese Notwendigkeit oder Dringlichkeit aus anderen Lebensbereichen.

Hätte ich nicht mit 47 in London Positive Psychologie zu studieren begonnen, hätte ich mein Leben als grau und trostlos empfunden – ich MUSSTE es tun, daran bestand kein Zweifel.

Dasselbe galt für die Weltreise, die ich mit 49 unternommen habe. Ich MUSSTE, wollte ich mir selbst treu bleiben.

Ich glaube daran, dass es Dinge gibt, die gelebt und erfahren werden wollen.

Vielleicht sogar gelebt und erfahren werden MÜSSEN, wenn wir unsere Lebenszeit hier auf Erden nicht vergeuden möchten.

Ich glaube daran, dass wir diesem Gefühl vertrauen dürfen.

Es wird uns nicht in die Irre führen.

# 12 Aha. SO fühlt es sich also an, stigmatisiert und unterrepräsentiert zu sein

Ich habe mich selbst immer als privilegiert empfunden. Ich bin in einem sicheren und reichen Land geboren und aufgewachsen. Ich bin körperlich und geistig gesund. Ich konnte sorgenfrei studieren, sogar mehrmals. Ich durfte sogar Mutter eines prächtigen Sohnes werden, obwohl sämtliche Ärzt:innen davon überzeugt waren, dass ich nicht auf „natürlichem“ Wege schwanger werden könne.

Dass ich als Frau in einem patriarchalen System teilweise auch benachteiligt bin, wird, wenn ich das größere Bild betrachte, durch diese vielen Privilegien mehr als wettgemacht.

Auf meinem non-monogamen Weg habe ich zum ersten Mal erlebt, was es heißt, stigmatisiert und unterrepräsentiert zu sein, und mich ausgeschlossen zu fühlen.

Menschen haben sich von mir abgewandt, mich sogar verschmäht, oder meinem Liebsten unterstellt, er würde mich nur ausnutzen und betrügen wollen.

Ich habe auch erlebt, was es heißt, einfach nicht „mitgemeint“ zu sein, zum Beispiel in dem Coaching-Programm, in dem ich jahrelang Mitglied war.

Alles war dort super-inklusiv, egal, ob es Hautfarbe, ethnische Herkunft, sexuelle Orientierung oder sozial-ökonomischen Hintergrund betraf. Nur wenn es um das Beziehungsmodell ging, war ausschließlich von monogamen Zweierbeziehungen die Rede. Dass es auch andere Beziehungsmodelle gibt, wurde völlig ignoriert.

Es hat mich auch hart getroffen, dass unser Sohn, als er noch in der Pubertät war, unseren polyamoren Weg sehr explizit verurteilt hat. Heute ist das zum Glück anders, er ist super tolerant und aufgeschlossen, und wir können offen über Beziehungen reden, auch wenn er einen völlig anderen Weg geht als der Liebste und ich.

Diese Stigmatisierung hat etwas Spannendes ausgelöst: Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich das Gefühl, wirklich für etwas einstehen zu wollen, und wenn nötig auch zu kämpfen.

Hier geht’s mir um etwas. Hier geht’s ums Eingemachte.

Ich glaube, im Kern geht es mir um Freiheit.

Und die ist mir heilig…

Und die Vision?

Bei den Aufnahmen für den TV-Beitrag wurden der Liebste und ich auch nach der langfristigen Vision für unsere Beziehung gefragt.

Ob wir in 12 Jahren noch immer polyamor leben werden?

Keine Ahnung.

Was ich sicher weiß, ist: Ich will eingebunden sein in eine Gemeinschaft, in ein größeres Netzwerk von „free spirits“. Die Grenzen der klassisch-monogamen Paarbeziehung werden mir vermutlich mein Leben lang zu eng sein, und die Grenzen von lovely little Austria auch.

„You cannot buy the revolution.
You cannot make the revolution.
You can only be the revolution.
It is in your spirit, or it is nowhere.“
Ursula K. Le Guin



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Eine Antwort

  1. Liebe Laya,
    Ich hab mir die Sendung angesehen und bin zutiefst berührt……von der tiefen Liebe, die Euch trägt und bewegt……und von dem Glück,daß Menschen ausstrahlen,die wahrhaftig und ehrlich zu sich selbst und ihren geliebten Menschen sind…..❤️ 💕 💞 🥰 ein „in Liebe baden“ – Eindruck wird mich durch diesen Sonntag begleiten…..wunderschön!!!!!
    Christoph Feuersteins Arbeit schätze ich sehr!!!!

    DANKE ❤️ 🫶 ♥️ 💜 für Euer „Sichtbar Sein“ ❤️ 🫶 ♥️ 💜

    Dagmar

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