Warum Loslassen so schwierig ist – und wie es trotzdem gelingt

Warum loslassen so schwierig ist - und wie es trotzdem gelingt

Mein Herz blutet, wenn ich daran denke, dass alles umsonst gewesen sein soll. Tausende Euro habe ich in dieses Projekt investiert und hunderte Arbeitsstunden. Vor allem aber habe ich ganz viel Liebe und Begeisterung hineingesteckt. Es war ein gutes Projekt, und es hätte funktionieren können. Hat es aber nicht. Denn ich habe den Aufwand unter- und meine Zeitressourcen überschätzt.

Seit eineinhalb Jahren überlege ich nun hin und her: Soll ich es einfach sein lassen und meine Investitionen als Lehrgeld verbuchen? Oder noch einmal Zeit investieren, das Konzept verändern und das Projekt wieder wachküssen?

Diese Überlegungen kosten mich viel Energie. Energie, die mir anderswo fehlt. Aber etwas in mir ist noch nicht bereit, loszulassen.

Genauso ging es mir auch mit anderen Dingen. Da war mein erster Mann, den ich einfach nicht gehen lassen wollte. Da war mein erstes Studium, das völlig an meinen natürlichen Gaben vorbeiging und mich sieben Jahre meines Lebens kostete. Da war der Ausstieg meiner ersten Partnerin aus der yogalounge und damit auch das Ende unserer innigen Freundschaft. Da war die Kundalini Yoga Lehrer Ausbildung, die ich knapp vor dem Abschluss abgebrochen habe.

Eine Menge lose Enden, die ich in den Händen hielt und die mich an die Vergangenheit banden. Meine Hände waren nicht frei, und ich konnte den Blick nicht in die Zukunft richten.

Das Festhalten macht uns müde. Es lähmt uns.

Ein Teil von uns steckt in der Vergangenheit fest – und somit fehlt uns die Energie, die wir jetzt, in der Gegenwart, brauchen würden, um GANZ unser Leben zu leben und eine prächtige Zukunft zu erschaffen.

Wir hadern und machen uns selbst Vorwürfe. Wir fragen uns, ob wir unsere vermeintlichen Fehlentscheidungen verhindern hätten können. Wir klammern uns an der Schnalle einer Tür fest, die längst verschlossen ist, anstatt sie loszulassen, uns umzudrehen und zu erkennen: Es gibt jede Menge anderer Türen, die weit offen stehen!

Die Dinge loszulassen bedeutet nicht, sie loszuwerden.

Sie loszulassen bedeutet, dass man sie sein lässt.

~ Jack Kornfield

Das Loslassen fällt uns so schwer, weil wir unseren Fokus auf das richten, was wir verlieren. Und da es etwas für uns Wertvolles und Kostbares ist – sonst wäre das Loslassen nicht schwer – tut uns die Vorstellung weh, dass wir es losWERDEN müssten.

Das müssen wir aber nicht. Wer oder was auch immer es ist – in seiner Essenz wird es bleiben. Mag sein, dass es seine Form ändert. Mag sein, dass Menschen, Gegenstände, Ideen oder Umstände aus unserem Leben verschwinden. Wir können sie würdigen und ihren Verlust betrauern – aber wir dürfen sicher sein, dass das, was sie für uns und unser Leben bedeutet haben, für immer bleiben wird.

Loslassen – so gelingt’s:

# 1 Hab Vertrauen

Erstens: Wenn etwas für dich bestimmt war, kommt es zurück – in welcher Form auch immer. Ich habe es lange bereut, nicht Germanistik oder Psychologie studiert zu haben. Aber da Sprache und ein psychologisches Feingefühl einfach zu mir gehören, sind sie auf anderen Wegen zu mir gekommen – ich wurde Journalistin, Autorin und Schreibtherapeutin und unterstütze heute Menschen dabei, ihre Blockaden zu lösen und ein freies, selbstbestimmtes Leben zu leben. Das naturwissenschaftliche Studium hat mich zwar Lebenszeit gekostet – aber ich habe diesen Umweg wohl gebraucht, um Klarheit über meine wahre Berufung zu bekommen.

Manchmal müssen wir einen klaren Punkt setzen – aber im Nachhinein erweist sich dieser Punkt oft als Strichpunkt. Das, was wir für verloren gehalten haben, kommt in einer anderen Form zu uns zurück.

Zweitens: Wenn etwas nicht für dich bestimmt ist, kannst du dich verbissen daran krallen, so viel du willst – du wirst es nicht festhalten können. Es ist nicht deine Entscheidung. Wie viel Energie du mit Festhalten verschwendest, liegt jedoch ganz bei dir.

Drittens: Wenn du das, was für dich bestimmt ist, empfangen willst, musst du die Hände frei haben. Denn was immer es ist, es ist schon unterwegs zu dir!

Die Kunst eines erfüllten Lebens ist die Kunst des Lassens:

Zulassen – Weglassen – Loslassen

~ Ernst Ferstl

# 2 Keine Schuldgefühle!

Unsere Entwicklung folgt einem geheimen Plan, der in uns angelegt ist. Das bedeutet nicht, dass wir keinen freien Willen oder keine Entscheidungsfreiheit hätten. Aber unser Scheitern, unsere Umwege und Fehlinvestitionen sind Teil des Weges, genau wie so mancher Trümmerhaufen, aus dem wir uns mühsam herausgraben müssen, bevor wir uns den Staub von den Kleidern klopfen und beherzt weitermarschieren können. Oft sind es genau diese Trümmerhaufen, die Misserfolge und bitteren Erfahrungen, die sich im Nachhinein als unsere größten Schätze erweisen. Manchmal werden uns die Flügel ganz schön gestutzt und wir müssen Federn lassen. Aber du kannst sicher sein: Erst dadurch werden deine Schwingen richtig stark, dir wächst ein neues, prächtiges Federkleid, und irgendwann erhebst du dich in die Lüfte. Von da oben sehen die Trümmerhaufen dann aus wie winzige Maulwurfshügel …

Hör auf zu hadern. Das Leben ist weise. Es weiß, welche Lektionen du brauchst, um in deine volle Größe und Kraft hineinzuwachsen. Aus dieser Perspektive gibt es keine Fehlentscheidungen und kein Scheitern. Alles ist Teil deines einzigartigen Lebensweges – und als solches eine wertvolle Erfahrung.

# 3 Richte deinen Blick auf das, was du gewinnst

Jede Gärtnerin weiß, dass sie manche Äste eines Baumes zurückschneiden muss, damit die anderen wirklich kräftig wachsen, Blüte treiben und volle Frucht tragen können. So ist es auch mit deinem Lebensbaum. Erlaub deiner Energie, sich zu bündeln. Verschwende sie nicht damit, an etwas Vergangenem festzuhalten, und lass sie nicht in Bereiche fließen, in denen sie versickert, anstatt etwas Wertvolles zu nähren.

Was gewinnst du, wenn du loslässt, wenn du die brüchigen, hohlen, oder von Schädlingen befallenen Äste abschneidest? Für welche wirklich wichtigen Dinge oder Menschen hast du dann wieder viel mehr Energie?

Ja, diese Schnitte tun weh – so wie auch das Zurückschneiden der Äste am Baum Wunden hinterlässt. Aber auf diese Weise entsteht mehr Raum. Das, was erblühen soll, bekommt mehr Licht und Sauerstoff – und dein Lebensbaum wächst kraftvoll in den Himmel.

# 4 Hab Geduld UND triff beherzte Entscheidungen

Wir können das Loslassen nicht „machen“. Es ist ein Prozess, es braucht Zeit, es fordert unsere Geduld. Aber wir können uns ihm öffnen, uns bereit machen, und – wenn der Zeitpunkt gekommen ist – eine beherzte Entscheidung treffen. Wir können langsam, liebevoll und achtsam unseren festen Griff lösen, und im richtigen Moment unsere Hand ganz öffnen. Was zuvor beinahe unmöglich erschien, geht plötzlich wie von selbst – und wir wundern uns, warum uns das Loslassen nicht früher gelungen ist.

# 5 Sei gewiss: Nichts ist jemals umsonst

Aus meiner ersten Ehe ist mein wunderbarer Sohn hervorgegangen, und ich trage noch immer mit Stolz und Dankbarkeit den Nachnamen, den ich von meinem ersten Mann übernommen habe. Mein Physik- und Mathematikstudium hat mir die Tore zum Wissenschaftsjournalismus geöffnet und mir später beim Sprung in die Selbstständigkeit Sicherheit gegeben. Meiner ersten Partnerin in der yogalounge kann ich wieder in Liebe begegnen – und doch weiß ich heute viel besser als früher, mit welchen Menschen ich zusammenarbeiten will und mit welchen nicht. Die Kundalini Yoga Ausbildung hat meine Liebe zum Hatha Yoga neu entfacht, sie bereichert meine Yogapraxis und meinen Unterricht – und durch sie sind Verbindungen und Freundschaften entstanden, die ich nicht missen möchte.

Und mein Projekt? Hat mir enorm viel technisches Knowhow gebracht und mich gelehrt, meine Ressourcen realistischer einzuschätzen.

Wir können niemals wissen, wozu etwas gut ist, und oft dauert es Jahre oder Jahrzehnte, bis wir die größeren Zusammenhänge verstehen. Dann aber erkennen wir: Nichts war umsonst, und alles hatte seinen Sinn.

Auf die Plätze, fertig, loslassen!

Denn alles wird gut – aber nichts wird mehr so, wie es mal war. 

Photo by Shianne Morales on Unsplash

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