Es ist 11 Uhr Vormittag, es ist Donnerstag und ich bin den Tränen nahe. Ich weiß nicht, ob ich lachen oder weinen soll oder beides gleichzeitig. Es ist Donnerstagvormittag und ich habe noch keine Zeile geschrieben. Das macht mich unglücklich und unrund.
Es ist 11 Uhr Vormittag, es ist Donnerstag und ich sitze am Fischgrätboden meines neuen Büros, inmitten von Kartonverpackungen, Schrauben und Muttern, Inbusschlüsseln und Plastikfolien. Ich verstehe nicht, warum die schwarzen Schrauben und Muttern nicht zu dem kuscheligen grünen Lesesessel passen wollen, den ich mir für mein Büro geschenkt habe.
Zu jenem Sessel, auf dem ich zu sitzen gedenke, wenn ich in die Ferne blicke, die Gedanken schweifen lasse, vor mich hinspinne, philosophiere und auf Empfang schalte, damit die Worte in mir aufsteigen können.
Ich bin gut im Denken. Ich bin gut im Philosophieren und im Ideen spinnen. Und ich bin ganz, ganz schlecht im Möbelzusammenzubauen.
(Das ist gelogen. Ich habe gefühlt schon tausend Möbelstücke mit Erfolg zusammengebaut, und ich bin auf Du und Du mit Ivar, Kallax und Lillången. Ich kann es, aber ich hasse es. Das ist ein Fluch).
Es ist Donnerstagvormittag und ich bocke innerlich wie ein kleines Kind.
Da erinnere ich mich an ein Zitat von Dorothy West:
„I’m a writer. I don’t cook. I don’t clean.“
Aber ich erkenne, dass Weinen im Moment nicht dran ist. Erwachsenwerden ist dran. Verantwortung für mein Leben übernehmen ist dran. „No more excuses“ ist dran. Also lasse ich den Lesesessel Lesesessel sein und verscheuche den Glaubenssatz, dass ich unmöglich schreiben kann, solange eine riesige Kartonverpackung und die Teile eines halb zusammengebauten Stuhls vor meinen Augen herumliegen.
Ich starte mein „Stayfocused“-Tool und beginne zu schreiben. Zuerst mit der Hand, dann am Computer. Und es tut sooo gut. Und danach bin ich sooo zufrieden.
Es ist Donnerstagmittag und ich habe das satte Gefühl, MEINE Arbeit getan zu haben.
Es ist Freitagmorgen und ich trudle im Büro ein. Kaum habe ich den Computer eingeschaltet, kommt die Reinigungsdame.
„Den bringe ich runter zum Müll“, sagt sie, als ihr Blick auf den riesigen Möbelkarton fällt.
„Aber nein“, sage ich. „Ich mach das schon.“
„Nein, nein“, sagt sie. „ICH mache das!“
„Aber nein“, wehre ich ab, „ich muss ihn zuerst zerkleinern, damit er in die Tonne passt.“
„Ich mache das“, sagt sie, und greift nach einer Schere.
„Moment, ich helfe mit!“, rufe ich, und suche nach einer zweiten Schere.
„Nein, nein, nein“, sagt sie. „Ich mache das schon!“
Und weil sie merkt, dass ich ein zäher Knochen bin, schnappt sie Karton und Schere und zerrt beides aus meinem Büro, um den Karton anderswo zu zerkleinern. Irgendwo, wo ich sie nicht länger bei ihrer Arbeit stören kann.
Und wieder bin ich den Tränen nahe. Diesmal sind es Tränen der Dankbarkeit, Tränen des Verstehens, und … Lachtränen.
Oh ja, Leben, zeig’s mir nur!
Schick mir nur deine augenzwinkernden Botschaften, damit ich endlich begreife, dass ich nicht alleine bin auf dieser Welt!
Ich weiß, dass ich kein schlechtes Gewissen haben muss, weil ich schreibe, während jemand anderer aufräumt und Ordnung schafft. Ich weiß, dass wir alle gleich wichtig sind, gleich bedeutungsvoll, gleich groß und gleich klein. Ich weiß, dass jede Arbeit zählt, die mit Sorgfalt und Hingabe verrichtet wird, sei sie sichtbar oder unsichtbar, philosophisch oder handwerklich oder eine Mischung aus beidem.
Und ich weiß, dass es unendlich viel Sinn macht, dass jede/r die Arbeit tut, die den Gaben entspricht, die er oder sie geschenkt bekommen hat. Wie gut, dass wir so herrlich unterschiedlich sind, so vielfältig, so bunt!
Ich kann mit Worten tanzen und andere mit meinen Worten berühren – und vielleicht kann ich irgendwann sogar glauben, dass das genügt. Dass ich nicht alles können muss. Dass ich meinen Beitrag leiste und andere den ihren leisten lassen darf, ohne Schuldgefühle zu haben.
Kürzlich habe ich das großartige Buch The Art of Asking der großartigen Amanda Palmer gelesen. Darin erklärt sie den Unterschied zwischen „um Hilfe fragen“ und „betteln“. Das eine kommt aus einer Haltung der Verbundenheit und gegenseitigen Wertschätzung, das andere aus einer Haltung des inneren Mangels und der Getrenntheit. Das eine hat mit Selbstwert zu tun, das andere mit Scham.
Sie erklärt auch, dass es einen Unterschied macht, ob wir Hilfe annehmen und dabei ein schlechtes Gewissen haben, uns klein und schwach fühlen, oder ob wir gelernt haben, Geschenke MIT ANMUT (graceful) anzunehmen.
Ok, schon gut, Amanda. Ich arbeite daran!
Es ist Freitagvormittag, der Karton ist weg, und ich bin wieder alleine im Büro. Aus der Ferne höre ich den Staubsauger.
Es ist Freitagabend. Mein Liebster kommt vorbei, schenkt mir eine schwarz-weiß gefleckte Büroteekanne, die perfekt zu meinen schwarz-weiß gepunkteten Bürovorhängen passt, und baut in knapp 20 Sekunden meinen neuen Lesesessel zusammen.
Alles ist gut. Alles ist wieder in Ordnung. In meinem Büro und in meinem Herzen.
„Trust that all your needs are gifts for other persons.“
~ Kelly Bryson
So funktioniert’s:
Nimm Papier und Stift zur Hand, komm an deinen heiligen Schreibplatz und sorge dafür, dass du für die nächsten 15 Minuten ungestört bist. (Falls du dich gerade nicht in der Nähe eines heiligen Schreibplatzes befindest oder nicht ungestört sein kannst, nimm trotzdem Papier und Stift zur Hand. Wenn wir immer auf optimale Bedingungen warten, kommen wir nie zum Schreiben 🙂 )
Schreibe jeweils einen der folgenden Satzanfänge, und dann schreib einfach weiter. Du vervollständigst den Satz – und falls der Schreibfluss dich ganz von selbst weiterführt, dann nur zu! Es darf auch mehr als ein Satz aufs Papier fließen.
Wichtig ist, dass du nicht innehältst oder anfängst, nachzudenken. Du schreibst den Satzanfang, und ohne Unterbrechung schreibst du weiter, was auch immer gerade auftaucht. Wie immer gilt: Es gibt keine Themenverfehlung!
Hier kommen die Satzanfänge:
Um Hilfe zu bitten bedeutet für mich …
Geben und Nehmen sind …
Geschenke anzunehmen macht mich …
Ich bin ein Geschenk für andere, weil …
Dass meine Bedürfnisse ein Geschenk für andere sein können, ist für mich …
Find the essence
Lass nun deinen Blick über das Geschriebene schweifen. Nimm einen andersfarbigen Stift zur Hand und hebe jene Wörter, Satzteile oder Phrasen hervor, die viel Energie tragen, die dir wesentlich erscheinen, oder die dich „anziehen“.
Schreibe die hervorgehobenen Passagen frei verteilt auf ein neues Blatt. Du kannst einzelne Wörter durch Linien, Punkte, Spiralen, etc. verbinden. Falls während des Übertragens auf das zweite Blatt neue Assoziationen auftauchen, schreib sie einfach dazu. Lass dich vom Stift auf deinem Papier führen.
Betrachte nun, was auf dem neuen Blatt entstanden ist.
Was sagt dein Kunstwerk über dich und deinen Umgang mit Geschenken aus?
Never forget: DU bist das Geschenk!
Keep flowing, keep growing, and … START ASKING AND RECEIVING!
Photo by Kira auf der Heide on Unsplash