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Dein inneres Kind: Saboteur oder Quelle der Lebendigkeit? 

 April 9, 2020

Dieses Kind. Das Mädchen auf dem Foto. Gerade mal acht Jahre alt, und schon so ernst.

Aus traurigen Augen schaut es mich unverwandt an, die langen braunen Haare zu dünnen Zöpfen geflochten.

Es ist so bedürftig, dieses Kind. Und sein Blick ist nicht nur traurig, sondern auch irgendwie vorwurfsvoll.

Jahrelang konnte ich dieses Foto fast nicht ansehen. Jahrelang empfand ich Abneigung und Ablehnung, fast so etwas wie Abscheu und Scham.

Ja, ich konnte und wollte es nicht sehen. Weil es mich an meinen tiefsten Schmerz erinnerte.

Ich kaufte Bücher über das innere Kind und las sie auch. Ich versuchte, die darin beschriebenen Übungen zu machen. Aber ich drang einfach nicht durch zu diesem verletzlichen und verletzten Wesen. Es entzog sich meinen Versuchen, Kontakt mit ihm aufzunehmen.

Oder war ich es – die Erwachsene – die sich entzog? Weil ich noch nicht hinschauen wollte und konnte? Weil der Schmerz noch zu intensiv, die Traurigkeit noch zu tief, die Bedürftigkeit noch zu groß war?  Und weil ich noch nicht wusste, wie ich mein inneres Kind beeltern, nähren und trösten kann, dieses traurige Mädchen, dem die Schwere ins Gesicht geschrieben stand – dort, wo sich kindliche Leichtigkeit zeigen hätte sollen?

Irgendwann kam dann noch die Wut dazu. Immer, wenn ich irgendwo vom inneren Kind hörte oder las, hätte ich am liebsten geschrien: „Lasst mich doch in Frieden mit diesem Quatsch! Ich will mich nicht ständig um mein inneres Kind kümmern müssen! Es soll mich endlich in Ruhe lassen mit seiner Bedürftigkeit und seinem vorwurfsvollen Blick!“

 

Zeitsprung.

Neben meinem Lesesessel hängt das Schwarz-Weiß-Foto eines vergnügten, fünfjährigen Mädchens. Es lächelt, und seine entzückenden kleinen Milchzähne blitzen hervor. Ich liebe dieses Bild. Ich betrachte es fast täglich, und es ist eine Quelle der Freude, Leichtigkeit und Lebendigkeit für mich.

Mein inneres Kind
Meine geliebte Kleine – Quelle der Lebensfreude und Lebendigkeit

Manchmal, wenn sich Schwere über mein Leben legt, wenn ich mich selbst unter Druck setze, wenn mir die Lebensfreude verloren geht angesichts all der Verantwortung und der Verpflichtungen, die ich übernehmen zu müssen glaube, dann leihe ich diesem kleinen, vergnügten Mädchen meine Hand und meine Füllfeder, und lasse es einen Brief an mich schreiben. „Hey! Wir sind hierhergekommen, um Spaß zu haben, hast du das vergessen?“, schreibt es dann. „Komm schon, lass uns ein wenig Unfug treiben. Das haben wir schon soooo lange nicht mehr gemacht!“

Dann muss ich lächeln, zwinkere meiner Kleinen zu und verspreche ihr, dass wir am nächsten Tag einen Eisbecher mit Schlagsahne essen werden, oder uns eine schöne bunte Zeitschrift kaufen und sie gemeinsam lesen, während wir im Café sitzen und Milchschaum schlecken, oder dass wir in den Zug steigen, um eine alte Freundin in einer anderen Stadt zu besuchen.

 

Was war geschehen?

Schicht um Schicht habe ich abgetragen, Jahr für Jahr, bis ich zum Ur-Grund meines tiefsten Schmerzes vorgedrungen war. Zum Schmerz darüber, mich nicht willkommen zu fühlen auf dieser Welt. Zum Schmerz darüber, verlassen worden und völlig hilflos zu sein. Zum Schmerz darüber, dass ich schon als Kleine die Große sein hatte müssen, die alles zusammenhielt und ein so feines Gespür für die emotionalen Bedürfnisse ihrer kriegstraumatisierten Eltern entwickelt hatte, dass sie ihre eigenen Bedürfnisse nicht mehr wahrnehmen konnte.

Ich habe all diesen Schmerz nochmal durchfühlt. Durchlebt. Und schließlich transformiert.

Die Ablehnung, die ich meinem inneren Kind gegenüber empfunden hatte, war nichts als die Angst davor gewesen, diesen Schmerz noch einmal empfinden zu müssen.

Aber daran führt kein Weg vorbei.

Das Heilsame ist: Dieser Schmerz ist noch immer intensiv – aber wir sind keine Kinder mehr. Wir sind ihm nicht mehr hilflos ausgeliefert. Wir müssen diesen Schmerz nicht mehr abkapseln, weil er uns sonst zerstören würde. Wir können ihn zulassen, ihn fühlen, ihn da sein, ihn aber auch wieder gehen lassen.

Oft ist es eine große Befreiung, als Erwachsener einmal diesen Schritt zu vollziehen, der damals nicht möglich war – das Geschehen bewusst zu durchleben -, damit die Psyche im heutigen Leben ankommen kann. Spätere Schmerzen tun zwar oft nicht weniger weh, aber sie haben nicht diesen Geschmack des Ausgeliefertseins und der Überbordung des magischen Denkens der Kindheit.
~ Anna Platsch

 

Und dann geschieht das Wunderbare: Ist der Schmerz in all seiner Intensität gefühlt, weicht die innere Betäubung einer neuen Lebendigkeit, und wir empfinden all die positiven Emotionen – Freude, Glück, Liebe und Leichtigkeit – viel intensiver als je zuvor.

Dann können wir erkennen: Unser inneres Kind ist ein Quell der Lebendigkeit, der Ursprünglichkeit, der Zartheit und der wilden und ungezähmten Lebenslust!

 

Wenn zwei verletzte Kinder einander gegenüberstehen

Wenn ich heute auf meine erste Ehe zurückblicke, erkenne ich, dass all das Drama, all die Verstrickungen und  Verletzungen von der Tatsache herrührten, dass nicht zwei Erwachsene, sondern zwei verwundete kleine Kinder einander gegenüberstanden und sich nichts zu geben hatten als ihren Schmerz – und die Erwartung, der andere möge diesen Schmerz heilen. Damals hielten wir das für Liebe, mein erster Mann und ich – und für Seelenverwandtschaft. Aber wer weiß, vielleicht hatten unsere Seelen sich ja wirklich vorgenommen, einander in diesem Leben in Menschengestalt zu begegnen, um sich gegenseitig zu ihrem Ur-Schmerz zu führen, und ihn zu erlösen – indem sie erkannten, dass kein anderer Mensch ihn jemals heilen kann?

Was in der Vergangenheit versäumt wurde, können später weder der Partner noch Freunde oder Kollegen und die eigenen Eltern wiedergutmachen. Man kann sein inneres Kind sozusagen nicht anderen Menschen auf den Schoß setzen.
~ Luise Reddemann, zitiert nach Angelika Wende

 

Auch heute tritt mein kleines Mädchen manchmal auf den Plan. Zum Beispiel dann, wenn mich das Verhalten meines Liebsten kränkt. Oder wenn jemand mir Grenzen setzt und ich mich deshalb ungeliebt fühle. Heute merke ich ziemlich schnell, was sich in einem solchen Moment abspielt und welcher innere Anteil da gerade meine Aufmerksamkeit braucht. „Hey, das tut weh, nicht wahr?“, frage ich dann meine Kleine. „Komm, verrate mir, was du jetzt brauchst, damit es dir wieder gut geht. Ich bin für dich da!“

Oft braucht es nur einen winzigen Moment des Selbst-Mitgefühls. Eine kleine Erinnerung daran, dass ich ein geliebtes Wesen bin, auch wenn ich mich gerade ungeliebt fühle. Eine kurze Berührung, eine Selbst-Umarmung, oder einen tiefen, besänftigenden Atemzug.

Manchmal empfinden wir unser inneres Kind als Saboteur. Oder wir erleben es als fordernd und tyrannisch. Dann sind wir genervt von seiner Bedürftigkeit und wollen Ruhe von ihm haben.

Aber es wird nur dann aufhören, uns zu sabotieren, wenn wir ihm genau die Liebe und Zuwendung geben, die es braucht. Dann ist es erstaunlich leicht zufriedenzustellen und gar nicht mehr so anspruchsvoll, wie wir dachten. So wie ein kleines Kind eben! Ignorieren wir seine Bedürfnisse, wird es quengelig und kann zu einem echten Tyrannen mutieren. Wenden wir uns ihm jedoch mit aller Präsenz und Liebe zu und verstehen, was es braucht, dann schlägt seine Stimmung von einem Moment auf den nächsten um – und es steckt uns an, mit seinem zauberhaften Lachen, mit seiner unschuldigen Zartheit, und mit seiner ungestümen Lebendigkeit.

Das innere Kind weiß den Weg.
~ Peter Horton

 

Schreibend dem inneren Kind begegnen

Schon lange, bevor ich schreibtherapeutische Ausbildungen absolviert hatte, war Schreiben für mich ein Weg, mit intensiven Gefühlen umgehen zu können. Genau genommen war es früher für mich der EINZIGE Weg, um in dieser Intensität präsent bleiben zu können, anstatt mich mit Essen, Arbeit oder Sport zu betäuben.

Heute verfüge ich über viele weitere wirkungsvolle Tools, um meine Emotionen zu managen – aber das Schreiben ist für mich nach wie vor ein Königinnenweg, um ganz bei mir zu sein, mich zu beruhigen, zu trösten und zu coachen.

 

Probier es aus! Zum Beispiel so:

# 1 Schreib deinem inneren Kind einen Brief. Vielleicht magst du zuvor ein Kindheitsfoto von dir betrachten?

# 2 Lass dein inneres Kind einen Brief an dich schreiben. Überlege nicht lange, wie das gehen soll – fang einfach an zu schreiben und lass dich überraschen, wohin der Schreib-Flow dich führt!

# 3 Schreib einen Dialog mit deinem inneren Kind – darin kannst du es zum Beispiel fragen, wie es ihm geht, was es sich wünscht, oder welche Botschaft es für dich hat.

# 4 Schreib ein Kindheits-Abecedarium: Finde zu jedem Anfangsbuchstaben des Alphabets ein Wort, das dir in Verbindung mit deiner Kindheit einfällt.  Es kann auch ein kurzer Satz sein, der Titel eines Songs oder einer Fernseh-Serie… alles ist erlaubt! Wenn dir zu Buchstaben wie Q oder Y nichts einfällt, dann lass sie einfach aus. Du weißt ja – Kinder mögen keinen Druck und keinen Perfektionismus – das macht sie höchstens bockig 😉

 

Hast du schon Zugang zu deinem inneren Kind gefunden? Was hilft dir, dich ihm zuzuwenden und seine Bedürfnisse zu erkennen? Poste in die Kommentare!

 

  • Liebe Laya, liebe Mitlesende & -schreibende,

    mir hilft es, in der Natur zu sein – und mit unseren Hunden und Katzen…..Tiere leben im Moment, sind präsent, immer bereit, sich auf das Jetzt einzulassen…von ihnen habe ich von klein auf gelernt…..denn ich bin sehr naturverbunden und mit Tieren aufgewachsen und das hat mir geholfen, immer wieder ins Gleichgewicht und mit mir selbst in Kontakt zu kommen….
    Deine Übungen habe ich gerade ausprobiert, liebe Laya, und sie haben mich tief berührt und Vieles ins Fließen gebracht….denn, als Kind hat mich vorallem die Sprachlosigkeit innerhalb meiner Familie und die fehlende wertschätzende, achtsame Kommunikation verstört und zutiefst verunsichert….all das Ungesagte, das wie eine dunkle, bedrückende Wolke über uns allen schwebte….und, das damit verbundene Unwohlsein, Unbehagen, die Unsicherheit…..lerne ich dank all Deiner Anregungen hier auszudrücken. ….was ich als Kind nicht konnte….
    Danke von en für Dein freigiebiges Teilen Deines Wissens und Deiner Erfahrungen
    Om shanti, easter blessings und alles Liebe und Gute zu Dir und zu Euch allen hier,
    Dagmar

    • Das Unsagbare aussprechen, das Bedrückende beim Namen nennen, das Unbehagen in Worte fassen – das alles sind unglaublich wichtige Schritte zum Heil- und Ganzwerden! Denn die Sprachlosigkeit lässt uns zutiefst einsam sein mit unseren Wahrnehmungen und Empfindungen, trennt uns von der Welt, trennt uns von anderen Menschen ….

      Danke, dass du diesen Weg gehst, liebe Dagmar, auf deine ganz besondere Weise, und damit dazu beiträgst, dass auch kollektive alte Wunden heilen dürfen!

      Herzensgrüße und frohe Ostern
      Laya

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