Urlaub. Im schönsten Sonnenschein wandere ich mit meinem Liebsten den Hügel hinauf. Der salzige Duft des Meeres weht uns auch hier oben um die Nasen, über uns kreisen die Möwen. Rund um uns ist es angenehm ruhig – hierher verlaufen sich nur wenige Touristen.
Kurz: Der Himmel ist blau, das Gras ist grün, das Paradies ist nah … aber leider nicht in mir. Denn da drin grummelt und brummelt es, und von Sonnenschein ist keine Spur. Schon eher herrscht Gewitterstimmung.
Mein Liebster und ich hatten vereinbart, dass wir mein neu entdecktes Lieblings-Café besuchen, bevor wir am Abend eine Kathedrale besichtigen, die bei Sonnenuntergang besonders beeindruckend sein soll. Wir hatten auch einen ungefähren Zeitplan festgelegt, sodass wir ein gemütliches Stündchen im Café verbringen können, ohne uns beeilen zu müssen.
Aber wie so oft hält das Leben sich nicht an unseren Zeitplan, und – eines der zuverlässigsten Gesetze des Universums – alles dauert länger als gedacht. Und schon schmilzt vor meinem inneren Auge das gemütliche Caféstündchen wie Eis in der spanischen Herbstsonne zu einer gehetzten Viertelstunde. Ich sehe mich meinen Cappuccino hinunterstürzen (was ich hasse), anstatt ihn so lange zu genießen, bis die letzten Schlückchen schon kalt geworden sind (was ich liebe).
Natürlich gebe ich meinem Liebsten die Schuld dafür. Merkt er denn nicht, dass uns die Zeit davon läuft? Kann er meine Gedanken noch immer nicht lesen – oder sind ihm meine Wünsche am Ende nicht wichtig genug?
Das wunderschönste Kopfkino spielt sich im Zeitraffer zwischen meinen Ohren ab. Die Gewitterwolken werden immer dunkler und bedrohlicher.
In einer solchen Situation gibt es zwei Möglichkeiten:
A) Ich sage nichts und grummle innerlich weiter … was garantiert dazu führt, dass das Gewitter später umso heftiger ausfallen wird.
B) Ich sage klar und deutlich, was ich möchte und was mir wichtig ist. Etwa so: „Hör mal, wir hatten vereinbart, dass wir um die und die Zeit im Café sind, und das geht sich nun nicht mehr aus. Mir ist das aber sehr wichtig.“ Dann kann es sein, dass mein Liebster und ich unsere Hügelwanderung abbrechen und schnurstracks ins Café spazieren. Oder aber ich gehe voraus und mein Liebster kommt nach, wenn auch er genug vom Hügel hat.
Rate mal, für welche der beiden Möglichkeiten ich mich entschieden habe.
Genau.
Und das darauffolgende Gewitter hatte es in sich. Mein armer Liebster…
Die Frage ist nur – warum verhalte ich mich so, obwohl ich es längst besser wissen müsste? Warum sage ich nicht, was ich will, warum erfülle ich mir meine eigenen Wünsche nicht, obwohl es – zumindest in diesem Fall – ganz einfach gewesen wäre? Warum begebe ich mich selbst in die Rolle des Opfers, gebe meine Macht ab und lasse mich fremdbestimmen?
Warum? Darum:
- Obwohl ich längst weiß, dass es uns gut tut, immer wieder Zeit ohne den anderen zu verbringen, gibt es das Bild in mir, dass Paare im Urlaub wie siamesische Zwillinge aneinanderzukleben haben.
- Ich habe ein schlechtes Gewissen, weil ich lieber im dunklen Café sitze als im hellen Sonnenschein herumzuspazieren. Grundsätzlich mag ich natürlich beides, aber im Zweifelsfall sitze ich lieber lesend im Café. Dieser Ort ist für mich Heimat, die natürlichste Umgebung, die ich mir vorstellen kann. Komme ich in eine fremde Stadt, suche ich mir als erstes ein Lieblingscafé – und schon fühle ich mich zuhause. Aber da viele andere Menschen ihre Kraftquellen und Wurzeln in der Natur finden, und weil das so „richtig“ und „natürlich“ klingt, glaube ich, dass mit mir etwas nicht stimmt, weil ich nun mal lieber im Café sitze als unter einem Baum… Außerdem: Ins Café gehen und lesen könnte ich auch zuhause, dafür hätte ich nicht wegfliegen müssen … und schon dreht das Kopfkino ein paar Ehrenrunden …
- Da gibt es außerdem die Vorstellung in mir, dass man sich im Urlaub einfach treiben lassen und keine Zeitpläne haben sollte – was ja auch ganz schön sein kann. Aber grundsätzlich fühle ich mich wohler damit, einen ungefähren Plan zu haben, den ich dann jederzeit wieder umschmeißen kann.
Zusammengefasst: Ich erfülle mir meine Wünsche nicht, weil irgendetwas in mir glaubt, dass mit diesen Wünschen etwas nicht stimmt, ergo dass mit MIR etwas nicht stimmt.
Also glaubt dieses Etwas in mir auch, dass ich kein Recht darauf habe, mir meine Wünsche zu erfüllen.
Ich erfülle mir meine Wünsche nicht, weil dieses Etwas mir zu erzählen versucht, welche Wünsche man haben sollte und welche nicht. Weil dieses Etwas mir weismachen will, welche Wünsche „normal“, „richtig“ oder „berechtigt“ sind, und welche nicht.
{Woher dieses Etwas kommt, ist ein eigenes Thema. Und auch, dass unter dieser ersten Schicht oft noch eine andere Dimension auftaucht, die uns daran hindert, glücklich zu sein. Dabei kann es zum Beispiel darum gehen, dass wir uns mit einem Elternteil, mit einem Geschwister oder mit Vorfahren identifizieren, die es schwer hatten im Leben. Aber dazu ein andermal mehr.}
Egal, was dein Etwas dir erzählt:
Du hast das RECHT, die MACHT und die KRAFT, dir deine Wünsche zu erfüllen.
Du hast das RECHT, die MACHT und die KRAFT, dein Leben genau so zu gestalten, wie es dir gefällt.
Du hast das RECHT, die MACHT und die KRAFT, klar auszudrücken, was du willst, und dafür einzustehen.
Nicht umsonst bist du ein einzigartiges Wesen mit einzigartigen Wünschen. Woher, glaubst du, kommen sie? Warum, glaubst du, hast genau DU genau DIESE Wünsche, während andere Menschen ganz andere haben? Denkst du noch immer, Wünsche seien dazu da, um sie dir abzuschminken und endlich den Ernst des Lebens zu verstehen? Hat auch dir irgendjemand erzählt, dass das Leben kein Wunschkonzert ist und kein Ponyhof – und du hast es geglaubt?
Die wenigstens von uns wünschen sich riesige Whirlpools, Luxuskreuzfahrten oder Privatjets. Die wenigsten von uns wünschen der Arbeitskollegin einen fetten Virus an den PC, dem Nachbarn die Pest an den Hals oder der Schwiegermutter einen vorübergehenden Stimmschwund. Die wenigstens von uns haben Wünsche, deren Erfüllung anderen schaden würde. Klar, manchmal gibt es Interessenskonflikte. Aber für die lassen sich meist Kompromisse finden: Der eine geht auf den Hügel, die andere ins Café. Ich fahre nur zwei Tage auf Seminar statt vier, damit mein Sohn nicht zu lange allein ist. Wir lüften den Raum, aber nur ganz kurz, damit die Frischluftfans auf ihre Rechnung kommen, den Dauerfröstlern aber trotzdem nicht kalt wird.
Ist dir eigentlich schon einmal aufgefallen, dass kleine, erfüllbare Wünsche zu riesengroßen und unerfüllbaren anschwellen, wenn man ihnen nicht nachgeht?
Ich zum Beispiel habe jahrelang davon geträumt, ein One-way-ticket nach Australien zu kaufen und von heute auf morgen aus meinem Leben zu verschwinden. Doch dieser Traum hat sich aufgelöst, seit ich mir regelmäßig kurze Städtetrips gönne, die mich für ein paar Tage in fremde Welten katapultieren. Das heißt natürlich nicht, dass ich nicht trotzdem einmal für längere Zeit nach Australien reisen werde. Aber dadurch, dass ich diese kleinen, erfüllbaren Wünsche verwirkliche, ist der Druck der „großen“ Sehnsucht weggefallen, und ich habe nicht mehr das Gefühl, für immer aus meinem Leben aussteigen zu müssen – kurze Ausflüge in andere Welten genügen.
Jede Pflanze braucht etwas anderes, um zu wachsen, zu gedeihen und zu erblühen. Deine Wünsche sind Hinweise darauf, was genau DU brauchst, um Kraft zu tanken, glücklich zu sein und dich zu freuen. Deine Wünsche machen dich einzigartig. Deine Wünsche ernst zu nehmen bedeutet, deine Einzigartigkeit zu lieben und zu leben. Und: Deine Wünsche ernstzunehmen bewirkt, dass auch andere deine Wünsche ernstnehmen.
Wir können aufhören, unsere Macht an andere abzugeben. Wir können aufhören, uns zu ent-mächtigen und uns stattdessen be-mächtigen. Wir können uns unseres eigenen Lebens bemächtigen. Wir können uns die Macht über unser eigenes Leben zurückholen.
Du hast das Recht, die Macht und die Kraft, dein Leben so zu gestalten, wie es dir gefällt.
Du willst im Winterurlaub den ganzen Tag im Bett bleiben, während alle anderen sich auf der Skipiste austoben? Tu es! Das macht dich weder zu einem Stubenhocker noch zu einem Antisportler. Im Gegenteil: Es macht dich zu einem selbstbestimmten Wesen.
Du willst hin und wieder dein Stück Fleisch essen, während all deine Yogakolleginnen ihre in Chiasamen gewälzten Lupinen-, Tofu- oder Seitanschnitzel genießen (oder zumindest so tun als ob)? Tu es! Das macht dich weder zu einer Tierquälerin noch zu jemandem, der nicht auf seine Gesundheit achtet. Im Gegenteil: Es macht dich zu einem Menschen, der spürt, was für ihn gerade stimmig ist, anstatt irgendwelchen Trends zu folgen.
Du gehst lieber um 9 Uhr abends mit einem guten Buch ins Bett, während deine FreundInnen sich bis 4 Uhr früh die Nacht an irgendwelchen Bars um die Ohren schlagen? Tu es! Das macht dich weder zu einer Langweilerin noch zu einem Gesellschaftsmuffel. Im Gegenteil: Es macht dich zu jemandem, der verstanden hat:
Gut für mich ist, was sich gut für mich anfühlt.
Nimm deine Wünsche ernst. Sie sind wichtig. Erfüll sie dir.
Tu es!
Du hast das RECHT, die MACHT und die KRAFT dazu.
Beitragsbild: ShutterstockFoto Blitz: pixabayFoto Frau mit Krone: lassedesignen – Fotolia.com