Als der liebe Gott die ULPs verteilt hat, stand ich definitiv in der ersten Reihe und habe laut „Hier!“ geschrien.
Denn so sicher wie das Om in der Yogastunde kommt in jedem Urlaub ohne Herrn Sohn der Moment, in dem ich mir felsenfest einbilde, dass ihm ganz sicher etwas ganz Furchtbares passiert ist, während ich in der Sonne liege und nichts tue, statt meinen Mutterpflichten nachzukommen. (Wer mich kennt, weiß, dass ich im Urlaub niemals in der Sonne liege und nichts tue. Aber das tut im Moment nichts zur Sache). Wenn dieser Moment kommt, ist es vorbei mit der Urlaubslaune und ich muss mich zwingen, eine Million Mal tief durchzuatmen, um mir nicht in den blühendsten Farben auszumalen, wie mein armes Kind unter einem LKW oder mit hohem Fieber im Krankenhaus liegt, oder zumindest vor lauter Sehnsucht nach seiner Mutter in Tränen aufgelöst im Bett.
So sicher wie das Om in der Yogastunde kommt bei mir auch jedes Mal, wenn ich so richtig, richtig glücklich mit meinem Liebsten bin, irgendeine alte Angst in mir hoch, meistens die Angst vor dem Verlassenwerden. Und schon sind die glücklichen Stunden wieder vorbei.
Und so sicher wie das Om in der Yogastunde schlage ich jedes Mal, wenn ich endlich das Gefühl habe, auf dem richtigen Weg zu sein, einen Haken, und schon ist es wieder vorbei mit dem Erfolg. Zum Beispiel habe ich gleich wieder aufgehört zu schreiben, nachdem ich einen Kurzgeschichtenwettbewerb gewonnen und ein paar Texte in Literaturzeitschriften veröffentlicht hatte. Und auch, nachdem mein Yoga-Aufsteller in einem großen Verlag erschienen war. Huch, Erfolg! Nichts wie weg hier!
Dass ich kein rechtes Talent zum Glücklichsein zu haben schien, ahnte ich schon in frühen Jahren. Kaum lief mal alles wie am Schnürchen, inszenierte ich irgendetwas, um wieder Sand ins Getriebe und den Flow zum Stoppen zu bringen. Kaum war ich in einer Beziehung glücklich, brach ich irgendein Drama vom Zaun. Kaum hatte ich beruflich und finanziell ein bisschen Luft und hätte meine Freiräume genießen können, warf ich mich ins nächste Projekt, nur um dann wieder darüber jammern zu können, dass ich viel zu viel zu tun und viel zu wenig Zeit für mich und meine wahren Leidenschaften hatte.
Dass hinter meinem Verhalten ein ULP steckte, weiß ich jedoch erst, seit ich „The Big Leap“ von Gay Hendricks gelesen habe. Seither hat mich das ULP nicht mehr im Griff. Im Gegenteil: ICH habe das ULP im Griff! Ich brauche nur laut zu sagen (oder leise zu denken, je nachdem, wer gerade in der Nähe ist): UPS, ein ULP! Und schon macht sich das ULP vom Acker.
Was ist ein ULP?
ULP steht für “ Upper Limit Problem“. Etwas in uns erlaubt uns nämlich nicht, glücklich zu sein – aus verschiedenen Gründen. Zum Beispiel, weil unser „emotionales Spektrum“ stark von dem unserer Eltern und unserer kindlichen Erfahrungen geprägt ist. Nicht nur durch Erziehung, sondern auch durch epigenetische Mechanismen (die regulieren, wann und wie welche Gene ein- bzw. ausgeschaltet werden) geben sie, wie Forschungen gezeigt haben, ihr durchschnittliches „Glückslevel“ an uns weiter. Geht nun unser Glücksgefühl über die Grenzen dieses für uns vertrauten und „erlaubten“ Spektrums hinaus, haben wir sofort das Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmt, oder wir etwas „übersehen“ haben. Oder dass wir illoyal sind mit unserer Herkunftsfamilie oder jemand anderem in unserem Umfeld, dem es schlecht geht. Oder aber wir bekommen es mit der Angst zu tun, weil wir unbekanntes Terrain betreten. Oder aber wir fühlen uns schutzlos, weil das Glücklichsein unseren gewohnten Gefühlspanzer zum Schmelzen bringt. (Mehr dazu in diesem Artikel der Psychologin Lisa Firestone auf psychologytoday.)
Es kann aber auch sein, dass wir glauben, jemand anderem etwas wegzunehmen, wenn es uns gut geht. Vielleicht, weil wir Geschwister hatten und in unserer Kindheit ganz klar war: Wenn wir selbst das größere Stück Kuchen bekommen, bekommt jemand anderer ein kleineres. Wir sind also im Mangelbewusstsein aufgewachsen, haben das Prinzip der unendlichen Fülle eines grenzenlosen, expandierenden Universums noch nicht verinnerlicht.
Zusammengefasst: Wenn irgendetwas in uns glaubt, dass es nicht okay ist, sich so richtig gut zu fühlen, inszenieren wir, sobald wir uns richtig gut fühlen, irgendetwas, um uns nicht mehr richtig gut zu fühlen.
Weit verbreitete ULP-Verhaltensweisen sind laut Gay Hendricks:
- Sich Sorgen machen
- Beschuldigungen und (Selbst-)Kritik
- Krank werden oder sich verletzen
- Streit und Zank
- Wichtige Gefühle verbergen, die Wahrheit nicht aussprechen
- Abmachungen nicht einhalten
- Ablenken (zum Beispiel indem man ein Kompliment von sich weist)
Erkennst du dich in irgendeinem dieser Aspekte wieder? Dann hast womöglich auch du ein ULP.
Die gute Nachricht ist jedoch: Gegen das ULP ist ein Kraut gewachsen!
Problem erkannt, Problem gebannt
Wie so oft gilt: Haben wir diese lebens- und glücksfeindlichen Mechanismen erst einmal durchschaut, ist der wichtigste Schritt zu ihrer Auflösung bereits getan. Wenn wir achtsam durchs Leben gehen, unsere Gedanken und Gefühle immer wieder bewusst und ohne Wertung wahrnehmen, wenn wir Tools zur Hand haben, um ein wenig Distanz zu schaffen zu dem, was in uns vor sich geht (Achtsamkeitspraxis oder Meditation zum Beispiel), dann ist schon viel gewonnen.
Vielleicht hast du Lust auf ein kleines Forschungsexperiment, bei dem du selbst gleichzeitig die Maus und der Forscher bist. Beobachte dich in den nächsten Tagen genau. Was tust du, um dein Glücklichsein zu verhindern? Wann geht dein Glücksgefühl über das vertraute Level hinaus – und welche Verhinderungsmechanismen ergreifst du, um es nur ja schnell wieder auf das gewohnte Maß zu reduzieren?
Vielleicht magst du deine typischen ULP-Mechanismen auch aufschreiben. Oder ihnen witzige Namen geben, damit das ganze nicht allzu ernst wird. Oder du installierst einfach in deinem Inneren eine imaginäre ULP-Alarmglocke mit rotem Licht und Sirene.
Das hilft.
Versprochen!
PS: Während ich das hier schreibe, sitze ich in eine Decke gekuschelt auf dem Sofa – einer meiner Lieblingsarbeitsplätze. Die späte Wintersonne scheint mir ins Gesicht, gleich wird sie hinter den Hausdächern untergehen.
Vergangene Woche hatte ich ein Team-Coaching mit dem yogalounge-Kernteam. Es war ein heiterer Nachmittag, von dem ich ganz high und euphorisch nachhause gekommen bin.
Morgen treffe ich mich mit den wunderbaren „Schreibfrauen“ der schreibtherapeutischen Jahresgruppe. Ich freue mich auf jede einzelne von ihnen, und auf das gemeinsame, kreative Schaffen und Sein.
Darf Arbeiten sich so anfühlen? So mühelos, so lustvoll? (*) Ja, es darf. Aber es war ein langer Weg, bis ich mir das erlaubt habe. Ein Weg, auf dem ich jede Menge ULPs aus dem Weg zu räumen hatte. Und ich bin sicher, es warten noch einige weitere darauf, aufgelöst zu werden. Zum Glück weiß ich ja jetzt, wie das geht.
(*) Natürlich ist es nicht IMMER so – oft ist es einfach nur anstrengend 🙂