Meine Freundin B. ist müde. Ich sehe es an ihren Augen, als sie in meine Yogastunde kommt. Ihre Augen sind trüb, ein Schleier hat sich davor geschoben. Die Lebenslust, die normalerweise aus ihnen sprüht, scheint erloschen zu sein. Dabei ist B. eines der größten Energiebündel, die ich kenne, quirlig, voller Temperament und Tatendrang.
B. ist ausgelaugt. Ich höre es an ihrem Atem. Am Ende der Stunde, wenn alle sich in Rückenlage entspannen, schläft sie sofort ein. Das geht nun schon eine Weile so, und ich bringe es nicht übers Herz, ihr zu sagen, dass Savasana nicht zum Schlafen da ist.
Es liegt an ihrem Freund, sagt B. Ihm geht es psychisch nicht gut. Er stürzt sich in den Sport, das ist seine Droge. Mit der dröhnt er sich zu, weil er sich seinen Themen nicht stellen will. Aber wenn er nicht auf dem Mountainbike sitzt und einen Berg hochradelt, erzählt B., ist er energielos und leer – und sie hat das Gefühl, dass SIE ihm dann Energie geben muss. Das zieht B. runter. Das saugt sie aus. Und sie weiß nicht, was sie dagegen tun soll. „Er tut mir auch irgendwie leid“, sagt sie. „Und ich will doch für ihn da sein.“
Auf und davon – nur etwas für Ego-Schweine?
Ich nicke, ich verstehe, ich weiß genau, wovon sie spricht. „Manchmal will ich einfach nur davonlaufen und von all dem nichts mehr wissen“, fährt B. fort und ringt ratlos die Hände. „Aber andererseits will ich auch kein Ego-Schwein sein.“
Aha, denke ich. B. sitzt in der Anti-Ego-Falle.
Die Yogastunde beginnt. Normalerweise lenkt mich beim Unterrichten nicht ein einziger Gedanke von Tadasana, Urdhva Mukha Svanasana und Ardha Chandrasana ab – aber diesmal ist es anders. Denn ich denke an B. und an das Ego-Schwein, und vor meinem inneren Auge steigt ein Bild auf.
Ein Bild von mir, wie ich über die Straße spaziere und ein Schwein an der Leine führe. Es trägt sogar einen Pullover, das entzückende rosa Tierchen, einen blau-weiß gestreiften. Und ich muss mich höllisch konzentrieren, um in Virabhadrasana III nicht vor Lachen umzufallen.
Ja, auch ich will kein Ego-Schwein sein. Ich will für meine Liebsten da sein, für meinen Mann, meinen Sohn, meinen Vater, meine Freundinnen und Freunde, mein Team.
Aber ich will mich auch nicht ausgelaugt durch den Tag schleppen, ich will nicht in tiefe Bewusstlosigkeit fallen, sobald ich mich auf die Yogamatte lege, und schon gar nicht will ich das Funkeln in meinen Augen verlieren. Nein, ich will mir meine Lebensenergie und meine Lebenslust nicht rauben lassen.
Ein Schwein an der Leine
Die Lösung? Ich BIN kein Ego-Schwein – aber ich HALTE mir eines!
Eines, das ich an der Leine führen kann. So kann nichts passieren – aber wenn es nötig ist, lasse ich es frei, das Tier. Dann kann es sich austoben, dann kann es richtig schön herumsauen und seinen Job machen.
Mein Ego-Schwein schiebt sich gnadenlos zwischen mich und Menschen, die mir meine kostbare Zeit rauben, weil sie immer über die selben Probleme reden, ohne nach Lösungen zu suchen.
Mein Ego-Schwein spritzt mit Schlamm nur so um sich, wenn die spitzen Hauerchen eines Energievampirs sich meinem Hals gefährlich nähern.
Mein Ego-Schwein lässt so richtig die Sau raus, wenn mein Idioten-Mitgefühl überhand nimmt und ich mir und anderen mit Nettigkeit schade, die in Wirklichkeit das Liebloseste ist, das ich tun kann.
So schützt es mich, mein neues Haustier. Aber wenn ich merke, dass ich herzlos oder gefühlskalt werde, dass mir die Empathie abhanden kommt, oder dass mir ein Rüssel und ein Kringelschwänzchen zu wachsen drohen, weil ich mich zu sehr mit dem Schweinchen identifiziere, dann pfeife ich es zurück. Dann nehme es wieder an die Leine. Und schon trabt es artig neben mir her und benimmt sich absolut fabelhaft.
Nur hin und wieder grunzt es leise. Als Erinnerung. Für mich.