Es ist Februar 2002. Ich wache mitten in der Nacht auf und weiß, dass ich schwanger bin.
Drei Monate zuvor sagen die Ärzte auf der IVF-Station, dass ich nicht schwanger werden kann. Ich habe seit Jahren keine Periode und keinen Eisprung mehr. Ich wiege kaum noch 50 Kilo und bin 176 cm groß. Ich will ein Baby, um meine vergiftete Ehe zu retten.
Ich halte den Schwangerschaftstest in der Hand und weiß, dass dieses Baby meine Ehe nicht retten wird. Aber es wird mein Leben retten, denn ich liebe es schon jetzt mehr als alles andere auf der Welt. Ich beginne wieder zu essen.
Es ist 2004, ich stehe mit meinem Sohn und meinem Noch-immer-Ehemann an einer Berliner U-Bahn-Station und weiß, dass dieser Tag das endgültige Ende unserer Beziehung ist. Am selben Abend fahren wir mit dem Nachtzug nachhause, und mein Sohn bekommt unerklärliches Fieber. Drei Tage und drei Nächte sitze ich ohne Schlaf an seinem Krankenhausbett. Die Ärzte wissen nicht, woher das Fieber kommt. Ich weiß, woher das Fieber kommt.
Es ist Oktober 2016, und wenn ich ins nächste Jahr hineinspüre, kommt eine große, dunkle Wolkenfront auf mich zu. Am 1. Jänner 2017 ruft mein Bruder an, weil meine Mutter wieder im Krankenhaus liegt. Am 24. November stirbt sie. Was dazwischen liegt, ist groß und dunkel – und sehr hell.
Es ist August 2000. Der Landesschulrat ruft an und macht mir ein unwiderstehliches Angebot. Aber ich weiß, dass ich nie wieder einen Fuß in eine Schulklasse setzen werde. Ich werde einen Master in Journalismus machen. Wie ich dieses Studium finanzieren soll, weiß ich nicht. Ich mache es trotzdem.
Es ist der 30. Juni 2012 und ich packe auf dem Weg zum Tanzfest meine Zahnbürste ein. Ich weiß, dass ich sie heute brauchen werde, obwohl ich 39 bin und noch nie in meinem Leben einen One-Night-Stand hatte. Ein Mann kommt durch die Tür und ich weiß, dass er es ist. Ich weiß noch nichts davon, dass unserer ersten gemeinsamen Nacht unzählige weitere folgen werden. Ich weiß nichts davon, dass er der erste Mensch in meinem Leben sein wird, dem ich meinen tiefsten Schmerz offenbaren kann, und der trotzdem bei mir bleibt. Ich weiß nichts davon, dass er mein bester Freund, ein wundervoller Bonus-Vater für meinen Sohn, mein Vertrauter, IT-Experte, kreativer Kompagnon, Geliebter, zweiter Ehemann und Advocatus Diaboli sein wird. Aber ich weiß, dass er es ist.
Es ist Mai 2018 und ich weiß, dass ich ein Jahr später allein von Florenz nach Assisi wandern werde. Ich weiß noch nichts von Dauerregen, Wildschweinen, Eichelhähern und Wölfen. Aber ich weiß, dass ich Antworten auf Fragen finden werde, von denen ich gar nicht wusste, dass ich sie mir stellen muss.
Der Körper ist die Quelle der Weisheit
Es ist Corona 2020 und ich stehe vor einer der schwierigsten Entscheidungen meines Lebens. Mein inneres Wissen hat sie längst getroffen, und der Specht im Wald hat sein Ja dazu in den Baumstamm geklopft. Mein Verstand wehrt sich noch hartnäckig, während mein Körper mich mit Zahnschmerzen, Pochen im Ohr und Fieber unterstützt. „Hör hin, hör hin!“, sagt er. Und ich weiß, dass ich auf ihn hören werde.
Der Körper, das Soma, ist eine Quelle der Weisheit und seine Intelligenz ist die Medizin für vieles, worunter wir leiden.~ Richard Strozzi-Heckler
Was unterscheidet „inneres Wissen“ von normalen Gedanken?
Nicht immer gelingt es mir, zwischen meinem inneren Wissen und der Stimme meines Verstandes zu unterscheiden. Oft vereinnahmt der Verstand mein inneres Wissen, versucht es zu verzerren, zu verwässern oder ins Gegenteil zu verkehren. Oft in meinem Leben konnte ich die Stimmen nicht auseinander halten, und es fällt mir auch heute noch schwer.
Was ich aber weiß, ist:
# 1 Mein inneres Wissen ist in meinen Eingeweiden, mein Verstand ist in meinem Kopf.
# 2 Das innere Wissen ist einfach da und verschwindet sofort wieder, die Gedanken kommen von irgendwoher und drehen sich dann im Kreis.
# 3 Das innere Wissen ist leise, die Gedanken sind laut.
# 4 Das innere Wissen ist jenseits von linearer Zeit, die Gedanken machen gerne 10-Jahres-Pläne.
Versteh mich nicht falsch: Ich liebe meinen Kopf, ich liebe meinen analytischen Verstand, und bin fasziniert davon, wozu er fähig ist. Ich weiß, dass er es gut mit mir meint. Ich weiß aber auch, dass er nicht immer weiß, was gut für mich IST.
Es ist Juni 2019. „Ich muss das Bargeld zur Bank tragen“, sage ich zu meiner Kollegin. „So viel hier herumliegen zu lassen ist nicht klug“.
„Es liegt schon so lange hier herum. Auf ein paar Tage kommt es nicht an“, sagt mein Verstand.
Am nächsten Tag werden wir bestohlen.
Ist dieses innere Wissen dasselbe wie Intuition? Wie Bauchgefühl?
Wissenschaftler*innen glauben, dass Intuition die Fähigkeit ist, blitzschnell auf unbewusste Informationen im Körper oder im Gehirn zuzugreifen, noch ehe der viel langsamere Verstand seine rationalen Überlegungen anstellen kann. Diese Informationen können aus vergangenen Erfahrungen stammen oder aus Sinneswahrnehmungen im jeweiligen Moment, die uns gar nicht bewusst sind.
Viele Wissenschaftler*innen glauben auch, dass wir die besten Entscheidungen dann treffen, wenn wir Intuition und Verstand gemeinsam entscheiden lassen. Sie sagen außerdem, dass wir unsere Intuition trainieren können.
Ich vermute, dass es aus einer höheren Perspektive sowieso keine guten und schlechten Entscheidungen gibt. Und dass wir zwar gern ein Patentrezept hätten, aber dass es Zeit ist, uns selbst zu Expertinnen unseres Lebens zu ernennen und unser eigenes wohlschmeckendes Süppchen zu kochen.
Der Weg ist in uns, aber nicht in Göttern,noch in Lehren,noch in Gesetzen. In uns ist der Weg, die Wahrheit und das Leben.C. G. Jung
Es ist eine Supervollmondnacht im Mai 2020, und ich kann nicht schlafen. Die Worte tanzen in mir, und ich weiß, dass ich diesen Blogpost schreiben muss. Ich weiß, dass meine Finger zittern werden, wenn ich auf „Veröffentlichen“ klicke, und ich weiß, dass mein Verstand und mein Marketing-Berater sagen werden, dass solche Posts für die Suchmaschinenoptimierung völlig nutzlos sind.
Ich tue es trotzdem, weil es MEINE Wahrheit ist und MEIN Walgesang. Ich singe ihn für mich selbst – und für alle, deren Herzen Ohren haben.