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Ist dieser Schmerz wirklich deiner?

Ist dieser Schmerz wirklich deiner?

Ich will nicht hier sein.

Ich will nicht hier sein, und der Schmerz droht mich zu überrollen.  Es ist tiefer, seelischer Schmerz, und ich kenne ihn gut.

Ich will nicht hier sein. Hier auf der Akutambulanz. Im Neuromed-Krankenhaus. Mit meinem Vater, der an Demenz erkrankt ist, und dem es seit ein paar Tagen gar nicht gut geht.

Ich will nicht hier sein, sondern dort. Dort, wo meine Bücher sind. Dort, wo all die Artikel und Papers und Studien warten, die ich lesen möchte. Dort, wo es mich hinzieht, mit wilder Sehnsucht, mit Wissbegier, mit tiefem Hunger. Hunger nach Bildung. Hunger nach Verstehen und Durchdringen.

Aber ich bin nicht dort, sondern hier, und die Mischung aus Wut und Mitgefühl, aus Verzweiflung und Empathie, aus Bei-meinen-Büchern-sein und Für-meinen-Vater-da-sein-Wollen schlägt wie eine Riesenwelle über mir zusammen. Wie gut, dass ich jahrzehntelang geübt habe, in Situationen, in denen der seelische Schmerz so intensiv ist, dass er mir fast die Luft raubt, weiterzuatmen, mich zu erden und präsent zu bleiben.

It is being honest about my pain that makes me invincible.
~ Nayyirah Waheed

Was war geschehen?

Die Aussicht hatte mich so glücklich gemacht. Die Aussicht, mich endlich endlich endlich ein paar Stunden am Stück meinem neuen Studium widmen zu können, nachdem die Upper East Uni London mich endlich akzeptiert hatte, nachdem ich endlich das Englisch-Zertifikat gemeistert hatte, nachdem endlich die Frauenerwachen-Convention erfolgreich hinter mir lag und endlich die neue Website gelauncht war. Beim Gedanken daran, mich nach all dem zumindest einen halben Tag lang ohne Unterbrechungen den Grundlagen der Positiven Psychologie widmen zu können, ließ mein Herz vor Freude tanzen.

Aber das Leben kam anders, und so steckte ich meinen Kopf nicht in meine Bücher, sondern verbrachte diesen halben Tag auf besagter Ambulanz mit meinem geschwächten Vater, der meine Unterstützung dringend brauchte.

Ist das wirklich SO schlimm?

Okay, okay. Alles nicht lustig und auch nicht angenehm. Aber ist so etwas wirklich ein Grund für SO intensive Emotionen?

Ja und Nein.

Nein, weil die Wucht der Emotionen dem aktuellen Anlass nicht angemessen war.

Ja, weil diese Emotionen nicht nur etwas mit mir und meiner persönlichen Familiensituation und Biografie zu tun haben, sondern mit dem kollektiven Schmerzkörper von uns Frauen.

Als ich vor vielen Jahren bei Eckhart Tolle zum ersten Mal von diesem Schmerzkörper las, wusste ich sofort, was er meinte. Und ich war so dankbar dafür, endlich einen Namen für das zu haben, was ich empfand. Ich war so froh darüber, mich verstanden zu wissen.

Sein Unglück ausatmen können, tief ausatmen, sodass man wieder einatmen kann, und vielleicht auch sein Unglück sagen können, in Worten, in wirklichen Worten, die zusammenhängen und Sinn haben, die man selbst noch verstehen kann, und die vielleicht irgendwer sonst versteht oder verstehen könnte, und weinen können, das wäre fast schon wieder Glück.
~ Erich Fried

Als ich bei Eckhart Tolle außerdem las, dass wir Frauen rund um die Tage der Menstruation in besonders engen Kontakt mit diesem Schmerzkörper kommen, und dass das eine riesige Chance ist, die Identifikation mit ihm aufzugeben und dadurch Teil der Heilung zu werden, stieg ein leises, aber bestimmtes JA in mir auf .

Ja, ich bin bereit. Ich bin bereit, diesen Schmerz zu fühlen und zu halten, willkommen zu heißen und zu bejahen, ihm nicht auszuweichen und ihn nicht mehr zu verbannen. Ja, ich will daran mitwirken, dass unser kollektiver Frauen-Schmerz, der sich über Jahrhunderte und Jahrtausende hinweg potenziert hat, heilen darf, daran, dass wir die Opferrolle hinter uns lassen und ein neues, gleichwertiges Miteinander mit den Männern dieser Welt gestalten.

Einige Frauen, die schon bewusst genug sind, ihre Opfer-Identität auf der persönlichen Ebene loszulassen, sind doch auf der kollektiven Ebene noch darin gefangen: „Was die Männer den Frauen angetan haben.“

Sie haben Recht – und zugleich auch nicht. Sie haben Recht, wenn es darum geht, dass der kollektive weibliche Schmerzkörper aufgrund männlicher Gewalttätigkeit gegenüber Frauen und aufgrund der Jahrtausende währenden Unterdrückung des weiblichen Prinzips auf diesem Planeten entstanden ist.

Sie sind im Unrecht, wenn sie aus dieser Tatsache ein Gefühl von Identität beziehen und dadurch in einer kollektiven Opfermentalität gefangen bleiben. Wenn eine Frau immer noch an Wut, Groll oder Verurteilung festhält, dann hält sie damit an ihrem Schmerzkörper fest. Sie mag dabei ein tröstliches Gefühl von Identität, von Solidarität mit anderen Frauen erfahren, aber sie bleibt dadurch auch an die Vergangenheit gebunden. Es verstellt ihr den freien Zugang zu ihrer Essenz und ihrer wahren Kraft.
~ Eckhart Tolle

Bilder, Bilder. Bilder. Bildung, Bildung, Bildung.

So sitze ich also auf harten, kalten Plastikstühlen neben meinem fröstelnden, zusammengekauerten Vater, und Bilder steige in mir auf.

Ich denke an die junge Tererai Trent im kriegsgebeutelten Zimbabwe, die nur unter größten Entbehrungen und mit größtem Risiko für sich und ihre Kinder einen College-Abschluss machen und in den USA studieren kann.

Ich denke an meine Mutter. Wie klug sie wirklich war, hat sich mir erst kurz vor ihrem Tod offenbart, als viele der Masken, die sie während ihres Lebens tragen hatte müssen, fielen. Doch wie so viele Frauen ihrer Generation hatte meine Mutter nie die Chance auf eine gute Ausbildung, geschweige denn auf einen Beruf, der sie erfüllt hätte.

Und ich denke an jenen Moment bei der Convention, als Udesha Kubesch und Uli Feichtinger alle anwesenden Frauen dazu aufriefen, symbolisch ihre Wünsche und Geschenke für die nachfolgenden Generationen darzubringen, und in dem es in mir ganz laut BILDUNG! BILDUNG! BILDUNG! rief. Ich wünsche allen Frauen und Mädchen dieser Welt, dass sie Zugang zu und Ressourcen für genau die Bildung haben, die ihnen entspricht, dass alle Frauen und Mädchen dieser Welt ihren Wissensdurst stillen und durch gute Bildung wirtschaftlich unabhängig sein können.

Und so wird mir klar: Meine Wut, meine Verzweiflung und meine Ohnmachtsgefühle hatten nur am Rande damit zu tun, dass ich ein paar Stunden lang für meinen Vater da war, statt für mich und mein Studium. Vielmehr hat mich diese Situation den Schmerz, die Wut und die Ohnmacht all jener Frauengenerationen vor mir spüren lassen, und all jener Frauen, die auch heute noch keinen Zugang zu Bildung haben – oder keine Ressourcen, weil sie diejenigen sind, die sich hauptsächlich um Kinder, alte und kranke Menschen kümmern, meist ohne jegliche monetäre Gegenleistung, und sehr oft auch ohne jegliche Anerkennung.

Was ist der kollektive emotionale weibliche Schmerzkörper?

Schmerz ist weder weiblich noch männlich. Aber wir Frauen haben eine andere kollektive Geschichte als Männer, und diese Geschichte ist geprägt von Ungerechtigkeit, Unterwerfung, Schmähung, Verachtung und Entwürdigung des Weiblichen. Auch auf Männer hat der kollektive weibliche Schmerzkörper einen Einfluss, besonders dann, wenn ihre Partnerinnen unbewusst aus ihm heraus agieren. Dennoch soll es hier erst mal um uns Frauen gehen.

Diese Ansammlung von Schmerz ist ein negatives Energiefeld, das deinen Körper und deinen Verstand besetzt. Wenn du es dir als ein unsichtbares Wesen mit seiner eigenen Persönlichkeit vorstellst, dann kommst du der Wahrheit ziemlich nahe. Das ist der emotionale Schmerzkörper. Er besitzt zwei Seinsformen: ruhend oder aktiv. […] Alles kann ihn aktivieren, besonders dann, wenn er mit einem Schmerzmuster aus deiner Vergangenheit in Resonanz geht. Ist er einmal bereit, aus seinem Ruhezustand herauszukommen, dann kann sogar ein Gedanke ihn erwecken oder eine unschuldige Bemerkung von jemandem, der dir nahe steht.
~ Eckhart Tolle

Woran merkst du, dass du mit dem kollektiven Schmerzkörper identifziert bist?

Vor allem sind es die Intensität und die Wucht der Emotionen, die dich zu überrollen drohen. Diese Emotionen können so heftig sein, dass es fast unmöglich scheint, bewusst zu bleiben und sie zu beobachten. Sie erfassen uns. Da sind unbändige Wut, da ist Hass, da ist Verbitterung, Verzweiflung oder Ohnmacht … Diese Emotionen sind dem Anlass in keiner Weise angemessen. Sie werden nicht durch ihn verursacht, sondern nur wachgerufen und aktiviert.

Ein Beispiel: Als mein Sohn im Volksschul-Alter war, hat er mich einmal auf offener Straße angespuckt – aus Wut darüber, dass ich ihm den bunten Plastikkram, den er sich in den Kopf gesetzt hatte, nicht gekauft habe.  Damals war ich außer mir. Ich war zutiefst betroffen, habe mich entwürdigt und geschmäht gefühlt.

Als ich jedoch meine Emotionen erforscht habe, wurde mir bewusst: Ich war in diesem Moment nicht die Mutter meines Kindes, die gelassen mit seiner Wut umgehen kann, statt sie auf sich selbst zu beziehen. Ich war in diesem Moment all jene Frauen, die jemals von Männern angespuckt, geschändet und ihrer Würde beraubt worden waren, über Jahrhunderte und Jahrtausende hinweg. Und ich habe IHREN Schmerz gefühlt, nicht meinen.  

Dieses Beispiel zeigt auch, wie der kollektive weibliche Schmerzkörper in unsere Beziehungen zu Männern hineinwirkt. Das Perfide dabei ist: Meistens ist uns das gar nicht bewusst. Wir reagieren auf unsere Partner, Söhne und Väter aus dem kollektiven Schmerzkörper heraus, und das wiederum aktiviert IHREN Schmerzkörper, und so entsteht auf beiden Seiten neuer Schmerz, der diesen Schmerzkörper nährt.

Was rettet uns aus dieser Schmerzspirale?

Bewusstheit.

Und genau deshalb sind jene Momente, in denen der kollektive Schmerzkörper von uns Besitz zu ergreifen droht, große Geschenke. Denn in diesen Momenten können wir Bewusstheit darüber erlangen – und Bewusstheit löst Schmerz auf, sowohl individuellen als auch kollektiven.

Wie wir mit kollektivem Schmerz umgehen können – und was ihn auflöst

# 1 Bleib präsent

Das ist das Einfachste und das Schwierigste. Kollektiver seelischer Schmerz kann so heftig sein, dass wir uns in Ablenkungs- oder Betäubungsstrategien flüchten (Essen, Arbeit, Drogen, Sex, …), um ihn nicht fühlen zu müssen.

Aber nur wenn wir ihn fühlen, kann er fließen, und nur wenn seine emotionale Energie fließen kann, kann er sich wandeln und auflösen.  Bewusstheit verwandelt alles in sich selbst – genauso wie Liebe.

Oft sind diese Emotionen aber zu stark, als dass wir bewusst bleiben können. Dann ist es eine Frage der Selbstliebe, uns zu regulieren und so weit zu beruhigen, dass wir uns ihnen wieder zuwenden und sie fühlen können, ohne von ihnen überwältigt zu werden.

Wie das funktioniert?

Zum Beispiel indem du deine Aufmerksamkeit auf einen beliebigen Gegenstand im Außen lenkst und ihn ganz akribisch beschreibst („Ich sehe einen schwarzen, quadratischen Wecker mit einem dunklen Ziffernblatt und zwei weißen Zeigern …“)

Oder indem du dich ganz auf deine Sinne fokussierst und wahrnimmst, was du gerade hörst, riechst, siehst, schmeckst, …

Oder indem du deine Atemzüge zählst. Oder indem du dich selbst in den Arm nimmst und dir tröstend zuflüsterst, dass alles gut ist, auch wenn im Moment rein gar nichts in Ordnung zu sein scheint…

# 2 Was ist JETZT?

Ergründe, wie viel diese Emotionen wirklich mit dir und deiner aktuellen Situation zu tun haben.

Ich zum Beispiel bin überhaupt nicht von Bildung ausgeschlossen, nur weil ich eine Frau bin. Ich studiere gerade zum dritten Mal, und habe außerdem jede Menge anderer Ausbildungen abgeschlossen. Natürlich hat mein Frau-Sein mir dennoch einige finanzielle Nachteile eingebracht, zum Beispiel, weil ich zuerst single mom, und später diejenige war, die sich um ihre kranken Eltern gekümmert hat.

Im Vergleich zu Frauen in China oder Indien oder Afrika bin ich jedoch auf die Butter-Bildungs-Seite des Lebens gefallen. Der Schmerz und die Wut, die ich gefühlt habe, stammte also aus dem kollektiven Weiblichen, und nicht aus meiner persönlichen Biografie – zumindest nicht ausschließlich.

# 3 Du bist nicht ohnmächtig, du bist mächtig

Der kollektive weibliche Schmerzkörper hat viel mit Ohnmacht zu tun. Oft aber ist es alte Ohnmacht, die in uns gespeichert ist, und im gegenwärtigen Moment sind wir viel, viel mächtiger, als es sich anfühlt!

Emotionen sind Energie, und Energie ist wandelbar. Nutze die Energie des seelischen Schmerzes für die Veränderung, die du dir in dieser Welt wünschst!

# 4 Wisse, für wen du durch diesen Schmerz gehst

Wir leben in besonderen Zeiten. Das Bewusstsein der Menschen – und allen voran von uns Frauen – weitet und klärt sich. Du hast heute die Chance, etwas aufzulösen, das die Menschheit seit ewigen Zeiten in Gefängnissen hält. Du bist Teil dieses Bewusstwerdungsprozesses, du bist Teil der Evolution, und du kannst dazu beitragen, dass sich nicht in der Zukunft fortsetzt, was die Menschheit in der Vergangenheit gequält und gefesselt hat.

Wenn dieser Schmerz unerträglich zu sein scheint, dann mag es dir helfen, dich daran zu erinnern, dass du nicht nur für dich selbst durch ihn hindurchgehst und -atmest, sondern auch für die vielen Frauengenerationen vor dir, und noch viel mehr für unsere Töchter und Söhne, Enkeltöchter und Enkelsöhne. Durch deinen Mut und deine Präsenz gestaltest du aktiv die Zukunft mit!

# 5 Nähre DICH, statt den Schmerz zu nähren

Um mit meinem Vater ins Krankenhaus fahren zu können, musste ich nicht nur meine Studierlust aufschieben, sondern auch ein Treffen mit zwei Frauen absagen, deren Freundschaft reine Seelennahrung für mich ist.

Es ist mir nicht leicht gefallen, ihnen ehrlich zu schreiben, wie es mir gerade ging – aber ich habe mich dazu durchgerungen. Die beiden haben daraufhin ein Märchen für mich geschrieben – eines, das mich getröstet und mir gezeigt hat, dass ich nicht alleine bin, dass sie meinen Schmerz kennen und verstehen, und dass meine Wut und meine Tränen einen tieferen Sinn haben.

Verbinde dich mit anderen bewussten Frauen. Setz dich mit ihnen in einen Kreis, lass deine Masken fallen, zeig dich in all deiner Verletzlichkeit – und du wirst das Wunder weiblicher Heilkraft erleben!

Hast auch du Erfahrungen mit dem kollektiven Schmerzkörper? Wie gehst du damit um? Schreib in die Kommentare und inspiriere andere durch deinen Erfahrungsschatz!

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