Sei zufrieden mit deiner Unzufriedenheit!

Ein Hoch auf die Unzufriedenheit

Ich sitze mit einer Freundin im Café. Sie ist schon die dritte in dieser Woche, die mir erzählt, sie sollte doch eigentlich zufrieden sein mit ihrem Leben.

Sie ist auch schon die dritte, die mir gegenübersitzt und versucht, das immer wieder auftauchende Gefühl, dass irgendetwas fehlt, mit vernünftigen Argumenten zu beschwichtigen. Schließlich hat sie alles, was man sich wünschen kann – einen guten Job, finanzielle Absicherung, ein Haus, einen verlässlichen Partner –  und gesund ist sie auch. Also gibt es eigentlich überhaupt keinen Grund, nicht rundherum zufrieden zu sein.

Dieses „eigentlich“ lässt mich aufhorchen. Auch meine anderen beiden Freundinnen haben dieses Wort benutzt, als sie mir erzählten, dass sich die leise Frage „Soll das schon alles gewesen sein?“ in stillen Momenten immer wieder meldet.

Manchmal sind es auch andere, die uns zu beschwichtigen versuchen.  Lass es gut sein, sagen sie. Was willst du denn noch? Andere Menschen wären froh, wenn … Und so weiter, wir kennen das.

Immer schön unzufrieden bleiben.

Wenn du meine bescheidene Meinung hören möchtest: Lass dir die Unzufriedenheit nicht ausreden! Du brauchst sie. Als Antriebskraft. Als Erinnerung daran, welches Potenzial in dir schlummert. Als Zeichen dafür, dass noch viel, viel, viel mehr möglich ist.

Natürlich meine ich mit Unzufriedenheit nicht das ewige Nörgeln und Jammern diverser Zeitgenossen, die niemals etwas genießen können, die blind sind für die kleinen Freuden und Schönheiten des Lebens, oder denen man nie etwas Recht machen kann. {Besonders im Urlaub trifft man immer wieder auf solche Exemplare. Da sind sie im Paradies gelandet, und dann ist ihnen die Sonne zu heiß, der Kaffee zu schwach, das Essen zu scharf, die Musik zu laut, …brrr}

Was ich meine, ist dieses manchmal unterschwellig nagende, manchmal heftig brennende Gefühl von:

Hey, in mir steckt noch so viel mehr! Hey, da gibt es noch so viel zu erleben, so viel zu erfahren und zu lernen! Hey, die Welt hält noch so viele Wunder für mich bereit – ich möchte aufbrechen und ihnen entgegengehen! Ich möchte jeden Tag staunen, mich ganz lebendig fühlen, ich möchte aus Routinen ausbrechen, keine faulen Kompromisse mehr schließen, und schon gar nicht mich mit einem halbherzig gelebten Leben begnügen!

Vielleicht wäre Sehnsucht der bessere Begriff dafür – aber manchmal drückt Sehnsucht sich eben durch Unzufriedenheit aus. Vielleicht ist es einfach auch eine Art Sog, ein inneres Wissen darum, dass wir zu mehr fähig sind als zu einem Durchschnittsleben mit seiner beruhigenden, aber lähmend langweiligen (gäääähn) Vorhersehbarkeit.

Denn wo bleibt da die Abenteuerlust? Wo bleibt der Schöpferdrang? Wo bleibt der Übermut, die Lust, nach den Sternen zu greifen? Auch wenn wir sie niemals erreichen werden – wenn wir es versuchen, müssen wir uns ordentlich strecken und recken. Und dabei wachsen wir. Garantiert!

„Das Schöpferische […] ist stets mit Unwohlsein verbunden“, so die Berliner Autorin und Kulturjournalistin Andrea Gerk. „Auf dem Weg zur Kreativität ist schlechte Laune unvermeidlich.“

Wir können die Unzufriedenheit, das Sehnen, die Ahnung davon, zu welcher Größe und Lebendigkeit wir fähig sind, beschwichtigen und uns einreden, dass wir doch eigentlich (!) zufrieden sein sollten. Vielleicht funktioniert das sogar. Dass es zu mehr Lebendigkeit und Lebensfreude führt – oder gar zu wahrer Zufriedenheit – wage ich zu bezweifeln.

Die Unzufriedenheit lebe hoch! Ich glaube, sie will uns etwas sagen. Zum Beispiel, dass wir in Bewegung bleiben sollten. Unseren Horizont erweitern. Neues ausprobieren. Risiken eingehen, auf die Nase fallen, aufstehen und weitermachen. Unfug treiben, Dummheiten machen, den Routinen und Selbstverständlichkeiten ein Schnippchen schlagen, uns selbst überraschen, immer wieder und wieder.

So lange, bis sich Momente ECHTER Zufriedenheit einstellen. Bis wir genüsslich in uns hineinlächeln und mit einem verschmitzt-triumphierenden Gefühl denken: „Wusst ich’s doch!“

Momente, die wir genießen dürfen – aber nicht festhalten sollten. Denn das Leben ist ein immerwährender Prozess, es gibt kein Ankommen, kein endgültiges „Jetzt hab ich’s!“ Es ist in uns angelegt, uns immer mehr auszudehnen, zu entfalten. Alles Erreichte, jeder Moment der Zufriedenheit, ist nur eine Zwischenstation, ein Sprungbrett für den nächsten Entwicklungsschritt.

Ich persönlich bin sehr zufrieden mit meiner Unzufriedenheit.

Ausruhen ist erlaubt. Stehenbleiben nicht. So will es das Leben.

Beitragsbild: © Maxim Ibragimov – fotolia.com

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