„Eine Nummer zu groß“ ist genau richtig! Update 2023

Es gab Zeiten, da wuchsen die Füße meines Sohnes um drei Größen pro Jahr. 

Damals haben wir Schuhe, Jacken und Shirts immer eine Nummer zu groß gekauft. 

„Du wächst ja noch rein!“, sagte ich zu ihm, wenn er, etwas verloren in seinem Oversize-Outfit, vor mir stand. 

Genau dasselbe sage ich auch zu mir selbst. 

Und zwar immer dann, wenn ich Dinge tue, die mir „eine Nummer zu groß“ für mich erscheinen (also ständig 😆)Immer dann, wenn ich mich von der Komfort- in die Stretchzone begebe. 

Immer dann, wenn ich jenes Unbehagen spüre, das mit jeder Art von Wachstum verbunden ist. 

Und weil ich das tue, wachse ich immer wieder über meine alten Pullis – und über mich selbst – hinaus. 

Wie wir wachsen

Viele Menschen spüren, dass sie eigentlich anders leben wollen, als sie es im Moment tun. Dass mehr in ihnen steckt, als sie verwirklichen, und dass das Leben etwas Größeres, Weiteres und Freieres für sie bereithält, als sie es gewöhnt sind.

Aber da sie bestenfalls eine vage Ahnung haben, was dieses Etwas sein könnte, haben sie Angst. Das Unbekannte verunsichert. Das Bekannte – und Enge – gibt Halt und Sicherheit. 

Und so grübeln sie nach. Sie lesen ein Buch nach dem anderen. Sie kreieren Vision Boards, meditieren und affirmieren. 

Aber sie tragen keine Pullis, die eine Nummer zu groß für sie sind. 

Sprich: Sie tun nichts von dem, was ihnen Unbehagen bereitet. Sie tun nichts, was sich „zu groß“ anfühlt. Ihnen fehlt das Vertrauen, dass sie „da hineinwachsen werden.“

Aber wir wachsen nicht, indem wir über unseren weiteren Lebensweg nachdenken. Wir wachsen nur, indem wir neue Wege GEHEN. Indem wir Schuhe tragen, die uns zu groß sind – damit unsere Füße in sie hineinwachsen können, statt dass unsere Zehen sich verkrümmen und unser Potenzial verkümmert. 

WIR WACHSEN NICHT, INDEM WIR ÜBER UNSEREN WEITEREN LEBENSWEG NACHDENKEN.

WIR WACHSEN NUR, INDEM WIR NEUE WEGE GEHEN.

Zu klein ist auch nicht fein

Als ich noch mein eigenes Studio hatte, habe ich viele Seminare und Workshops gehosted – sprich, für andere Lehrerinnen organisiert und beworben. An vielen davon habe ich auch teilgenommen – und jedes Mal fühlte ich mich, als würde ich einen viel zu kleinen Pulli tragen. (Mit den genialen Worten einer meiner Coaching-Klientinnen ausgedrückt: Ich fühlte mich VERGEUDET.)

Ich spürte: Eigentlich sollte ICH da vorne sitzen und unterrichten, statt in der Pause Tee zu kochen und Teilnehmerlisten zu checken. Aber gleichzeitig war da dieses Wort. Dieses Wort, das viele von uns für eine Tugend halten. Oder es als Entschuldigung missbrauchen, um keine Wachstumsschmerzen haben zu müssen. 

Das Wort ist Bescheidenheit

Sei doch ein wenig bescheidener. Tee für andere Menschen zu kochen ist eine ehrenvolle Aufgabe. Du tust doch Gutes. 

Klingt vernünftig, oder?

Die Sache ist nur die: In Schuhen, die mir passen, und in Pullis, in die ich nach und nach hineinwachse, kann ich sehr viel mehr Gutes für wesentlich mehr Menschen tun. 

Also: Die Bescheidenheits-Ausrede lassen wir nicht mehr gelten, du und ich, einverstanden? 

“Becoming is better than being.” Carol Dweck

Persönliches Wachstum ohne Panik

Mein Pilgerweg von Florenz nach Assisi war definitiv ein Pulli, der mir eine Nummer zu groß war. Mein Master-Studium in London war mindestens zwei Nummern zu groß. 

Dennoch war beides einigermaßen überschaubar. Ja, es gab sie, die Momente, in denen ich mich heillos überfordert fühlte oder leicht in Panik geriet. Aber im Großen und Ganzen fühlte ich mich beiden Herausforderungen gewachsen – vor allem, weil ich in beiden Fällen gut vorbereitet war. 

Manchmal schubst das Leben uns allderings in die Panikzone. Zum Beispiel mit einer schlimmen Diagnose, mit Jobverlust, Trennung oder was auch immer. 

Auch in der Panikzone können wir mitunter wachsen. Sogar traumatische Erfahrungen können unsere Entwicklung langfristig begünstigen – Stichwort „posttraumatisches Wachstum“. Manchmal aber führen solche Erfahrungen zum Gegenteil: Aus Angst verkriechen wir uns in unserer Komfortzone, und trauen uns nicht mal mehr in die Stretchzone hinein.

Wenn du es dir also aussuchen kannst, dann probier’s mit einem Pulli, der dir ein, zwei Nummer zu groß ist. Auch das wird sich seltsam und „zu groß“ anfühlen. Aber eben nicht um SO viel zu groß, dass du in Panik gerätst.

>> Mehr über die Stretch- und die Panikzone erfährst du hier 

Du bist kein Einsiedlerkrebs!

Einsiedlerkrebse sind wundersame Tierchen. Sie suchen sich Schneckenhäuser und Muscheln als Behausung, weil ihr Hinterleib sehr weich und verwundbar ist und Schutz braucht.

Manchmal aber müssen sie umziehen, weil ihnen die alte Hülle zu klein geworden ist. 

Den bewährten Schutz hinter sich zu lassen, ist für  Einsiedlerkrebse lebensgefährlich. 40 Prozent von ihnen werden gefressen, bevor sie eine neue, größere Behausung gefunden haben. 

Wir Menschen haben zwar nicht das Gehirn eines Krebses, aber das Gehirn unserer Vorfahren. Was für diese lebensgefährlich war – zum Beispiel, ihren Clan zu verlassen – ist für uns im Grunde kein großes Risiko. Trotzdem fühlt sich immer noch lebensgefährlich an. 

Du bist weder ein Steinzeitmensch noch ein Einsiedlerkrebs. Nur weil sich etwas gefährlich – oder zumindest ziiiiiieeeemlich unbehaglich – anfühlt, heißt das noch lange nicht, dass es wirklich gefährlich IST. 

Und: Du hast ganz andere Möglichkeiten als Krebse und Steinzeitmenschen!

Du kannst gut für dich selbst sorgen. Du kannst dafür sorgen, dass andere für dich da sind, wenn du jemanden brauchst. Du kannst dafür sorgen, dass du dich in anderen Lebensbereichen stabil, sicher und gefestigt fühlst, wenn du in EINEM Lebensbereich ein Wagnis eingehst. 

Oder vielleicht doch? 

Ich bin keine Expertin für Einsiedlerkrebse, aber ich bin ziemlich sicher, dass diese faszinierenden Krabbentierchen nicht ewig darüber nachdenken, ob es Zeit für einen Umzug ist oder nicht. Sie spüren: Es ist zu eng, also los!

Wir Menschen hingegen neigen dazu, alles zu zerdenken. Wir wollen diejenigen, die früher zu uns gepasst haben, nicht vor den Kopf stoßen. Wir wollen die Sicherheit des alten Jobs nicht verlieren. Wir drücken uns vor dem Unbehagen, das mit jeder Veränderung verbunden ist. 

Aber genau dieses Unbehagen ist der Preis für Wachstum und Freiheit.

Können wir nicht ein bisschen wie Einsiedlerkrebse sein? Können wir nicht einfach denken: „Es ist zu eng, also los!“?

Ein, zwei Nummern größer denken

„Wenn dein Ziel dir keine Angst einjagt, ist es vermutlich zu klein.“ 

Von wem dieser  Satz stammt, weiß ich leider nicht genau, aber ich finde, er trägt eine Menge Weisheit in sich. 

Unsere Vorstellungskraft ist mächtig. Wenn wir nicht von Bestehendem ausgehen, sondern ein, zwei Nummern größer denken (und üben, uns entsprechend zu fühlen), trainieren wir unser Gehirn auf Wachstum, Fülle und neue Möglichkeiten. 

“Picture your brain forming new connections as you meet the challenge and learn. Keep on going.”Carol Dweck

Wir müssen nicht all unsere Träume und Visionen verwirklichen. Aber wir dürfen mit Möglichkeiten spielen. Wir dürfen an unsere großen Träume glauben. Und daran, dass wir ganz von selbst in sie hineinwachsen – Millimeter für Millimeter, Schritt für Schritt. 

Buchtipps und Ressourcen:

  • Carol Dweck: The growth mindset
  • Carol Dweck: Mindset
  • Stephen Joseph: Was uns nicht umbringt
  • Stephen Pressfield: Turning Pro 
  • Marie Forleo: Everything is figureoutable
  • Benjamin Hardy: Be Your Future Self Now
  • Benjamin Hardy: Personality Isn’t Permanent
  • Scott Barry Kaufman, Jordyn Feingold: Choose Growth: A Workbook for Transcending Trauma, Fear, and Self-Doubt
  • Scott Barry Kaufman: Transcend. The New Science of Self-Actualization
  • John Assaraf: Innercise. he Nwe Science To Unlock Your Brain’s Hidden Power

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