Ich hätte alles dafür gegeben, dass sie mit mir SPRICHT.
Dass sie mir sagt, wie es ihr WIRKLICH geht.
Was sie fühlt.
Aber da war nur dieses Schweigen.
Da war nur diese Mauer.
Dieselbe Mauer, auf die ich auch traf, wenn ICH versuchte, von MEINEN Gefühlen zu sprechen.
Die Mauer – oder das schnelle Umlenken auf ein anderes, belangloses Thema.
Das war IHRE Coping-Strategie.
Nicht nur die Coping-Strategie meiner Mutter, sondern die einer ganzen Generation.
Emotionale Sprachlosigkeit – für jedes Kind, das feine Antennen für emotionalen Schmerz hat, eine permanente Verunsicherung, die für den Rest des Lebens prägt.
„Ich habe nur ein einziges Mal geweint“, sagte meine Mutter nach Jahren unsäglicher Schmerzen, nach unzähligen Operationen und Chemotherapien. „Und das war, als mir die Haare ausgefallen sind.“
Ach, Mama.
Ich weine mit dir.
Über eine Generation, für die der Schmerz zu groß war, um ihm begegnen, zu groß, um ihn auszudrücken, ihm Worte zu geben, um ihn zu zeigen und zu teilen, um ihn ein Stück weit zu erlösen.
Verdrängen und Verschweigen – eine gute Coping-Strategie. Damals.
Ich habe lange gebraucht, um zu akzeptieren, dass meine Mutter und ihre Generation einfach nicht anders konnten. Dass Verdrängen und Verschweigen für SIE vielleicht die beste (oder die einzig mögliche) Coping-Strategie war.
Ich habe auch lange gebraucht, um Frieden damit zu schließen, dass meine Mutter an Eierstockkrebs und mein Vater an schwerer Demenz erkrankten, und dass vieles von ihrem Leid vermutlich vermeidbar gewesen wäre, wären Traumata & Co rechtzeitig aus Gehirn, Gewebe und Nervensystem gelöst worden.
Irgendwann habe ich verstanden, dass es eine Frage von Respekt ist, jeder Generation und jedem Individuum die eigenen Strategien zuzugestehen – und das eigene Schicksal.
Die Kriegskinder haben die Trümmer des Krieges weggeräumt, die Kriegsenkel mussten die seelischen Trümmer wegräumen, heißt es.
Genau so hat es sich für mich lange angefühlt. Kollektive und transgenerationale Traumata aus meinem eigenen System zu lösen, hat mich Jahrzehnte an Heil-Arbeit gekostet.(Sehr empfehlenswert zu diesem Thema: „Die Kraft der Kriegsenkel“ von Ingrid Meyer-Legrand.)
Heute realisiere ich:
Wir brauchen nicht nur andere Strategien als unsere Eltern, sondern auch andere Strategien als wir selbst vor zehn oder zwanzig Jahren.
Aber es geht gar nicht so sehr um Strategien.
Mit erwachendem Bewusstsein können wir sogar ein völlig neues Paradigma mitgestalten!
Verliebt ins Leiden
Vor einigen Jahren war ich mit meinem Liebsten bei einem Paartherapeuten.
Wir saßen einander in schweren, ockerfarbenen Lederstühlen gegenüber – und dann kam der Moment, den ich nie vergessen werde.
Der Moment, in dem ich realisierte, dass ich meine Trauma-Vergangenheit als Waffe missbrauchte.
Als Entschuldigung.
Als Ausrede dafür, nicht die volle Verantwortung für meine Gefühle, meine Beziehung, mein Leben zu übernehmen.
Ich realisierte, dass ich mich mit meinem seelischen Schmerz so sehr identifiziert hatte, dass ich ihn lieber behielt und weiterhin unter ihm litt, als ihn loszulassen und glücklich zu sein. Ich hatte meine Geschichte so oft erzählt, dass ich mich so richtig schön in ihr einbetoniert hatte.
Ich konnte sie selbst nicht mehr hören.
Ich langweilte mich mit ihr.
Ich hatte die Nase voll davon.
Doch wer war ich ohne meine Dornenkrone?
Sie tat weh, und ihre Stacheln bohrten sich tief in mein Fleisch.
Aber immerhin war sie eine Krone – und sie veredelte mich.
In diesem Moment spürte ich, dass ich an einer entscheidenden Weggabelung angekommen war.
Welche Richtung wollte ich einschlagen?
Wollte ich weiterhin um meinen Schmerz kreisen, besessen von der Idee, die Vergangenheit heilen zu müssen?
Oder wollte ich einen neuen Weg wählen?
Einen Weg, der den Schmerz anerkennt, aber sich nicht mehr von ihm bestimmen lässt? Einen Weg, der den Fokus auf das Gestalten und Kreieren legt, auf die Macht über die eigene Evolution? Einen Weg, auf dem Heilung ihren Platz hat, aber der sie teilweise auch überflüssig macht – weil etwas anderes stärker ist als der alte Schmerz?
Meine Wahl veränderte die Dynamik meiner Beziehung völlig.
Wie positive Emotionen entstehen
Statt in der machtvollen Ohnmacht des Opfers zu bleiben, übernahm ich volle Verantwortung.
Ich nahm die Dornenkrone ab, wurde zur wahren Königin, und konnte den König an meiner Seite zum ersten Mal wirklich sehen, lieben und zutiefst respektieren.
Kurz darauf begann ich, Positive Psychologie zu studieren.
Auferstehung ohne Kreuzigung – ja, das ist möglich
“Healing is actually a decision to think better thoughts.“
Aussagen wie diese von Marisa Peer haben früher enormen Widerstand in mir hervorgerufen. Wozu, bitte, waren dann die hunderten Therapie-Stunden gut? Wieso habe ich tausende und abertausende Euros für Körperarbeit, Coachings, Retreats und alternative Heilmethoden ausgegeben, wenn ich stattdessen einfach BESSERE GEDANKEN hätte denken können?
Weil damals damals war und heute heute ist.
Weil unser kollektives Bewusstsein auf einem völlig anderen Niveau angekommen ist (und das liegt unter anderem daran, dass unzählige Menschen so wie ich durch tiefe Heilungs- und Transformationsprozesse gegangen sind).
Weil wir heute wissen, dass „Gedanken ändern“ ein überaus komplexer Prozess ist, der IM KÖRPER stattfindet, für den es Gemeinschaft und Verbundenheit braucht, und andere Tools als ein paar Affirmationen und Visualisierungen.
Weil unser kollektives Nervensystem sich verändert hat, und weil unser kollektiver Schmerzkörper weniger „dicht“ geworden ist.
Nicht überall – aber zumindest in meiner Bubble, und bei den Menschen, mit denen ich arbeite.
Prozesse, die früher Wochen und Monate, manchmal Jahre gedauert haben, sind heute nach wenigen Sessions oder nach einem einzigen Live Event Shift einfach „durch“.
Es muss nicht mehr der Leidensdruck sein, der uns motiviert, durch solche Prozesse zu gehen.
Es kann unsere Vision sein, die uns trägt, die Vision eines neuen Lebens, einer neuen Verbundenheit zwischen uns als Menschen und zwischen uns und unserem Heimatplaneten, eine Vision, die uns so sehr beflügelt, dass das Gewicht der Vergangenheit gar keine große Rolle mehr spielt.
„Stirb und Werde“ – das stimmt wohl auch heute noch.
Aber Sterben und Auferstehen geht auch ohne Kreuzigung.
Und ohne Dornenkrone.
Die Macht der positiven Emotionen
Ich hatte auch viel Widerstand gegen Positive Psychologie – anfangs.
Ich habe ihr nicht getraut.
Ich hielt sie für eine oberflächliche „Happiology“, ich hasste toxische „Kopf hoch“ Positivität, und wenn mir jemand mit positivem Denken kam, wäre ich ihm am liebsten an die Gurgel gegangen 😉
So geht es mir auch heute noch.
Aber in manchen Dingen habe ich mich getäuscht.
Das Kultivieren positiver Emotionen hat nichts mit Oberflächlichkeit oder schönem Schein zu tun, der den Tränensee überdeckt, der in uns allen wogt.
Positive Emotionen sind fundamental.
Sie gehen über das momentane „gut fühlen“ weit hinaus.
Positive Emotionen machen uns gesünder, klüger, kreativer, lösungsorientierter, resilienter und offener.
Sie erzeugen eine Aufwärtsspirale, die mit der Zeit so viel Fahrt aufnimmt, dass sie uns in ein völlig neues Leben katapultieren kann.
Positive Emotionen erzeugen eine Aufwärtsspirale, die mit der Zeit so viel Fahrt aufnimmt, dass sie uns in ein völlig neues Leben katapultieren kann.
Positive Emotionen kreieren außerdem einen Bounce-Back-Effekt – für den Fall, dass wir uns die Dornenkrone aus alter Gewohnheit doch wieder mal aufsetzen.
Und für den Fall, dass die kollektive Verherrlichung des Leidens (an ein Kreuz genagelte Leiber haben wir schließlich mehr als genug gesehen) uns wieder mal vorgaukelt, Märtyrertum sei moralisch wertvoll.
Ans neue Leben gewöhnen
Nach einer Auferstehung – nach einem Lebens-Upgrade – folgt oft eine Phase der Verunsicherung.
Wir haben manifestiert, was wir wollten – und plötzlich tauchen Schuldgefühle auf. Wieso sollte es UNS besser gehen als anderen? Wieso sollten WIR uns aus dem Hamsterrad befreien dürfen, und andere nicht?
Oder wir bekommen es mit der Angst zu tun, dass wir das alles wieder verlieren und in die alte „Frequenz“ zurückrutschen könnten.
Oder mit der Angst vor unserer eigenen Macht. Wenn DAS möglich ist – was ist dann noch alles möglich?
Oder wir verlieren unseren alten Freundeskreis, plötzlich „stimmt es nicht mehr“ mit dem Partner oder dem alten Job, der alten Umgebung … es ist einfach kein „Frequenz-Match“ mehr.
“Don’t be afraid of the solitude that comes with raising your standards.”
Ebonee Davis
In dieser Phase gilt es, gut darauf zu achten, dass wir uns nicht selbst sabotieren. Unser innerer Glücks-Setpoint hat sich verändert, aber unser Nervensystem ist noch gar nicht recht in der Lage, das alles zu „halten“.
Wir müssen unserem Organismus Zeit geben, sich an die neue Realität zu gewöhnen. Uns Ruhe und viel Reflexions-Zeit gönnen.
Und anerkennen, dass jede Auferstehung, jedes Upgrade, auch bedeutet, dass wir etwas Altes hinter uns lassen müssen.
Zum Beispiel die Dornenkrone und die Idee von Märtyrertum. Oder die Idee, es sei etwas Ehrenhaftes, besonders leidensfähig zu sein.
Einmal Auferstehung OHNE Kreuzigung, bitte.
Eine neue Ära.
Trauen wir uns das zu?
Aber ja 😉