Nach links oder nach rechts?
Vorwärts, rückwärts oder einfach mal stehenbleiben?
Den neuen Job annehmen oder weitersuchen?
Den Partner verlassen oder es nochmal probieren?
Den Schritt in die Selbstständigkeit wagen oder noch ein wenig abwarten?
In Gold investieren, in Aktien oder in Kryptowährungen?
Hach, immer diese Entscheidungen.
Der Kopf will das eine und der Bauch das andere. Von den Freund*innen, die wir um Rat fragen, sagt die eine dieses, die andere jenes und die dritte etwas ganz anderes.
Und dann ist da natürlich auch noch unser Herz, das eine ganz eigene Sprache spricht. Eine, die meistens leise ist. Die Sprache der Sehnsucht. Und die hat mit Logik und Vernunft eher wenig zu tun.
Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber für mich ist „Folge deinem Herzen“ nicht der beste Rat. Klar, ich lebe „Herz voran“, daran besteht kein Zweifel. Aber wenn nicht mein gesamtes System mitmacht – also auch Kopf und Bauch – dann ist die Gefahr groß, dass ich mich auf dem Weg, für den ich mich entschieden habe, selbst sabotiere.
Wir können ziemlich viel erreichen, wenn wir erst mal wissen, was wir wirklich wollen.
Oft aber schwanken wir hin und her, fühlen uns innerlich zerrissen, denken im einen Moment „Ha, ich hab’s!“, und im nächsten „Ähem … vielleicht doch nicht“.
Manchmal benötigen Entscheidungen noch ein wenig Inkubations-Zeit.
Aber meistens brauchen wir einfach einen inneren Kompass.
Für mich besteht dieser Kompass hauptsächlich aus sieben Fragen. Und die teile ich heute mit dir.
7 Fragen, die dir helfen können, dich zu entscheiden
# 1 Macht es mein Leben weiter oder enger?
Als Kind bin ich nie gereist.
Meine Eltern waren traumatisierte Weltkriegskinder. Dieser Planet war ein bedrohlicher Ort für sie – viel zu gefährlich, um sich freiwillig auf unbekanntes Terrain zu begeben.
Irgendwann bin ich dann aber doch zum ersten Mal in ein Flugzeug gestiegen. Irgendwann zum ersten Mal allein verreist, dann zum zweiten Mal und dann immer wieder. Irgendwann habe ich den Atlantik überquert und dann den Pazifik. Irgendwann habe ich meinen Rucksack gepackt und bin allein auf Pilgerreise gegangen.
Und jedes Mal hatte ich Angst. Jedes Mal schlotterten mir die Knie und jedes Mal gab es Stimmen in meinem Kopf – alte Stimmen, uralte, ererbte Stimmen – die mir weismachen wollten, dass es doch zuhause auch schön sei und ich keine unnötigen Risiken eingehen sollte.
Ich habe diesen Stimmen nicht geglaubt.
Denn ich entscheide mich für das, was mein Leben weiter macht, nicht enger.
Weite ist oft beängstigend.
Enge ist erdrückend.
Aber manchmal fühlt sie sich auch kuschelig und vertraut an, und ein Teil von uns will lieber dort bleiben, wo wir uns sicher fühlen.
Ich glaube, wir können ein Stück dieser Sicherheit mitnehmen auf unseren Weg in die Weite, und das muss sich nicht eng anfühlen. Es ist kein Entweder-Oder.
Wenn es um eine Richtungs-Entscheidung geht, dann entscheide ich mich für das, was mich und mein Leben weit werden lässt. Und erinnere mich an die Dinge, die mich wirklich sicher machen.
# 2 Ehrt es meine Möglichkeiten?
Wie der Psychologe Barry Schwartz herausgefunden hat, macht es uns unglücklich, zu viele Optionen zu haben.
Und FOMO, die „Fear Of Missing Out“ (die Angst, etwas zu verpassen), kann dazu führen, dass wir viel tun, aber nichts davon mehr wirklich genießen und in aller Tiefe erfahren. (Stattdessen können wir absichtsvoll JOMO, die „Joy Of Missing Out“ kultivieren).
Aber wenn es etwas gibt, das mich immer wieder motiviert, begeistert und antreibt, dann ist es die Dankbarkeit für all die Möglichkeiten, die mir offen stehen. Große und zahlreiche Möglichkeiten, die den Frauen, die vor mir kamen – meiner Mutter und meinen Großmüttern – verwehrt geblieben sind. Deshalb sind diese Frauen auch weit hinter ihren Möglichkeiten zurückgeblieben; sie konnten ihre Potenziale und ihre Kreativität nicht entfalten, ihre Stärken nicht einsetzen und ihr Leben nur sehr eingeschränkt selbst gestalten.
Ich will die Möglichkeiten, die mir geschenkt wurden, mit meinen Entscheidungen ehren. Nein, ich muss nicht jede Möglichkeit ausschöpfen und nicht jede Erfahrung machen. Aber meinen großen Hunger will ich stillen hier auf Erden.
# 3 Ist es mutig?
Früher dachte ich, Mut würde immer belohnt.Inzwischen bin ich mir da nicht mehr so sicher – und ich habe verstanden, dass der Grat zwischen Mut und Dummheit manchmal ganz schön schmal ist.
„Courage is knowing it might hurt and doing it anyway. Stupidity is the same. That’s why life is hard!“
„Mut ist, zu wissen, dass es schmerzhaft sein könnte, und es trotzdem zu tun. Dummheit ist dasselbe. Deshalb ist das Leben so schwierig!“
~ Jeremy Goldberg
Im Zweifelsfall entscheide ich mich für das, was sich mutig anfühlt, auch wenn es sich im Nachhinein als Dummheit herausstellen sollte. Kann frau genug Dummheiten machen in ihrem Leben? Ich denke: Wahrscheinlich nicht – solange sie bereit ist, die Verantwortung für die Konsequenzen zu übernehmen.
„May your choices reflect your hopes, not your fears.“
„Mögen deine Entscheidungen deine Hoffnungen widerspiegeln, nicht deine Ängste.“
~ Nelson Mandela
Die Sache mit dem Mut ist zugegebenermaßen trickreich – denn was auf den ersten Blick mutig erscheinen mag, kann Ausdruck von Feigheit sein und umgekehrt.
Und das bringt uns zu Punkt # 4.
# 4 Ist es liebevoll?
2008 bin ich, an einen alten Haudegen namens Heinz geschnallt, aus 4500 Metern Höhe aus einem alten klapprigen Flugzeug gesprungen. Das war ziemlich mutig von mir, denn ich hatte große Angst vor diesem Fallschirmsprung.
Zwei Jahre später wollte genau jener Freund, mit dem ich dieses Abenteuer erlebt hatte, mich zu einem Bungee-Sprung überreden. Wir saßen irgendwo in Griechenland an einem Tisch mit einer Gruppe von Freund*innen, und alle machten mit.
Nur ich nicht.
Weil es nicht liebevoll gewesen wäre.
Wir waren auf einem buddhistischen Retreat, schliefen in winzigen Zeltern, die Nächte waren eiskalt, die Tage sengend heiß, es gab für tausende Menschen nur eine Handvoll Dixi-Toiletten, und ich war zum ersten Mal für längere Zeit von meinem kleinen Söhnchen getrennt.
Das Letzte, was ich in dieser Situation gebraut hätte, war eine zusätzliche Mutprobe.
Damals Nein zu sagen war nicht feig, sondern mutig – auch wenn es auf den ersten Blick anders ausgesehen haben mag.
Es war liebevoll.
Und damit die richtige Entscheidung.
# 5 Würde ich bereuen, es nicht getan zu haben?
Hier ist sie, die klassische Frage: Wenn ich einst auf dem Sterbebett liege – welche Entscheidung würde ich wohl bereuen? Würde ich es bedauern, etwas NICHT getan zu haben?
Im Laufe meines Lebens hatte ich ein paar Begegnungen mit dem Tod. Seither ist er einer meiner wichtigsten Berater. Ich denke oft an ihn. Er hilft mir, zu erkennen, was WIRKLICH wichtig ist, und was ich nur im Moment für wichtig halte. Er zeigt mir, was es bedeutet, abschiedlich zu leben. Er erinnert mich daran, dass ich am Ende sowieso ALLES loslassen muss (also kann ich die Dinge, die mich beschweren oder belasten, oder die einfach zu viel sind, auch gleich loslassen).
Ich möchte jene Entscheidungen treffen, die am Ende meines Lebens möglichst wenig ungelebtes Leben übrig lassen.
Und mein Freund, der Tod, soll zittern, wenn er kommt, um mich zu holen.
„We are here to laugh at the odds and live our lives so well that Death will tremble to take us.”
„Wir sind hier, um über unsere Chancen zu lachen und unser Leben so gut zu leben, dass der Tod zittern wird, wenn er kommt um uns zu holen.“
~ Charles Bukowski
Ich möchte jene Entscheidungen treffen, die am Ende meines Lebens möglichst wenig ungelebtes Leben übrig lassen. Und mein Freund, der Tod, soll zittern, wenn er kommt, um mich zu holen.
# 6 Kommt es meinem Future Self zugute?
Bestimmt hast du schon mal vom Marshmellow-Experiment gehört.
Bei diesem Experiment konnten kleine Kinder sich entscheiden, ob sie lieber sofort EIN Marshmellow bekommen würden oder zu einem späteren Zeitpunkt ZWEI.
Diejenigen, die bereit waren, die Belohnung aufzuschieben und auf den Marshmellow-Segen zu warten, waren als Erwachsene erfolgreicher, leistungsfähiger und glücklicher als jene, die als Kinder über weniger Impulskontrolle verfügt hatten.
Ich bin ziemlich sicher, ich hätte als Kind die erste Variante gewählt – denn Ungeduld war schon damals mein zweiter Vorname.
Auch heute fällt mir das, was Psycholog*innen „Impulskontrolle“ oder die Fähigkeit zum „Gratifikationsaufschub“ nennen, ziemlich schwer.
Aber immerhin weiß ich: Manchmal lohnt es sich, auf Genuss und Erfolg zu warten!
Darum verbinde ich mich immer wieder mit meinem Future Self. Ich möchte, dass es ihm gut geht. Ich möchte nicht auf seine Kosten leben. Ich möchte eine gute Balance finden zwischen Genuss und Vergnügen im Augenblick und der Fähigkeit, von Zeit zu Zeit darauf zu verzichten – meiner Zukunft zuliebe.
Und was bedeutet das ganz praktisch?
Manchmal esse ich die üppige Schokotorte, manchmal nicht.
Manchmal schlage ich mir die Nacht um die Ohren, manchmal nicht.
Manchmal investiere ich in meine Altersvorsorge, manchmal in teure Schuhe (natürlich nur, wenn sie extra schick sind).
Wiederum: Kein Entweder-Oder!
Die Beziehung zu meinem Zukunfts-Ich zu pflegen hilft mir, gute Entscheidungen zu treffen. Fürs Hier und Jetzt UND für später.
# 7 Ist es zum Besten aller Wesen – und dieser Erde?
Zum Schluss noch ein kleiner Blick über die Grenzen unseres kleinen Ichs hinaus – denn unsere Entscheidungen und ihre Konsequenzen betreffen nicht nur uns selbst.
Was ist gut für uns als Menschheit? Für den Planeten, auf dem wir leben?
Manchmal treffe ich Entscheidungen, die eine Nummer zu groß für mich zu sein scheinen, weil ich von der Idee beflügelt bin, dadurch zu einer Inspiration für andere zu werden.
Manchmal hingegen steht das, was mich persönlich weit und frei machen würde, im Widerspruch zu dem, was für unsere Umwelt gut ist – zum Beispiel eine Flugreise. Dann gilt es abzuwägen.
Und dafür gibt es leider kein Rezept.
Aber es gibt so etwas wie Integrität. So etwas wie aufrichtige Selbstbefragung. Etwas wie Ehrlichkeit uns selbst gegenüber, über unsere Motive und Beweggründe.
Herrje, schon wieder kein Schwarz und kein Weiß! Wieder mal nichts als Schattierungen und Ambivalenzen!
“There is the principle of the Way that we must make one mistake after another.”
„Es ist ein Prinzip des Weges, dass wir einen Fehler nach dem anderen machen müssen.
~ Dogen Zenji
Wir können akzeptieren, dass wir ständig Fehler machen auf dem Weg. Oder damit aufhören, Entscheidungen als Fehler zu betrachten, nur weil sie nicht zu dem Ergebnis führen, das wir uns vorgestellt hatten.
Wir könnten sogar damit aufhören, uns einzureden, dass wir uns nicht entscheiden können – und stattdessen einfach eine Entscheidung treffen und zu ihr stehen.
Denn er wird schon einigermaßen funktionieren, unser innerer Kompass.
Und wenn nicht, dann erkunden wir eben Landschaften, die wir sonst womöglich niemals kennengelernt hätten!
Was hilft DIR, Entscheidungen zu treffen? Poste in die Kommentare – ich freue mich darauf, von der zu erfahren!