Urvertrauen stärken – so geht’s!

„Und was würdest du brauchen, um es einfach zu TUN – trotz der Angst, trotz der Zweifel, trotz der Unsicherheit?“

„Najaaaaaa …“

Fragezeichen hängen in der Luft.

Ich warte.

„Mh. Mehr Vertrauen vielleicht?“

Solche und ähnliche Dialoge spielen sich zwischen mir und meinen Coaching-Klientinnen oft ab.

Sie wissen, was sie wollen. Eigentlich.

Sie haben genug davon, ein Leben von der Stange zu leben. Längst sogar. Sie wollen ein bunter Paradiesvogel sein, eine visionäre Adlerin, ein freier Falke – und kein eingesperrtes Huhn, das am Boden scharrt, weil es sich abgewöhnt hat, den Blick hinauf in den Himmel zu lenken.

„Der Taube wird die Tanzenden immer für Verrückte halten.“ ~ Jorge Bucay

Aber so ganz trauen sie es sich nicht zu, diese Frauen, einen anderen Pfad einzuschlagen.

So ganz trauen sie auch dem Leben nicht.

Denn da ist zu viel passiert. Zu viel an Verletzungen, Enttäuschungen und Kränkungen, an  Misserfolgen, die das Selbstwertgefühl angekratzt haben, und an schmerzhaften Verlusten und Trennungen, die dazu geführt haben, dass das zartfühlende Herz glaubt, sich schützen zu müssen, anstatt sich vertrauensvoll zu öffnen und seine Liebe zu verströmen.

Vertrauen ist die Basis, ist unser Fundament.

Ohne Vertrauen gibt es keine Entspannung.

Ohne Vertrauen gibt es keine Entfaltung.

Vertrauen schafft den Raum, in dem sich die Angst zeigen und auflösen kann.

Wir können uns selbst vertrauen. Wir können anderen vertrauen.

Aber es gibt eine Art des Vertrauens, die noch viel tiefer geht:  Urvertrauen.

Urvertrauen ist die Basis für alles andere

In einer perfekten Welt müssten wir uns um unser Urvertrauen keine Gedanken machen. Wir hätten von Geburt an all die Liebe, Empathie, Aufmerksamkeit, und Geborgenheit bekommen, die Babys brauchen, um ein stabiles Urvertrauen zu entwickeln. Wir alle hätten in dem Gefühl gebadet, dass wir auf dieser Welt sicher und willkommen sind. Aus diesem Gefühl der Geborgenheit und des grundlegenden Gewollt-Seins heraus beginnen kleine Kinder, die Welt zu entdecken und zu erforschen.

Urvertrauen ist die Basis für unser Selbstwertgefühl; nur mit einem stabilen Urvertrauen können wir wirklich in jeder Zelle unseres Körpers spüren: „Ich bin wertvoll. Ich bin liebenswert. Ich bin geborgen und willkommen.“

Urvertrauen ist die Basis dafür, anderen Menschen vertrauen zu können; nur mit starkem Urvertrauen können wir uns anderen gegenüber öffnen und uns gesehen, verstanden und angenommen fühlen.

Urvertrauen ist auch die Basis für unser Vertrauen ins Leben, in die Welt, und in einen tieferen Sinn; nur mit einem gesunden Urvertrauen spüren wir: „Ja, ich bewege mich hier auf sicherem Grund – und dieses Leben ist es wert, gelebt zu werden.“

Woran erkennst du, dass dein Urvertrauen schwach ist?

Folgende Merkmale können Zeichen für ein schwaches Urvertrauen sein:
  • Entfremdung vom Körper
  • Sich nicht spüren, grundlegende Bedürfnisse nicht wahrnehmen
  • (Esixtenz-)Ängste, Furchtsamkeit, Sorgen
  • Schreckhaftigkeit, „high alert“, Misstrauen
  • Rastlosigkeit, kein Boden unter den Füßen
  • Zu wenig Fokus, Struktur und Selbstdisziplin, mangelnde Selbstorganisation
  • Finanzielle Schwierigkeiten
  • Schwache oder sehr starre, rigide Grenzen
  • Essstörungen, Maßlosigkeit beim Essen, fallweise: Untergewicht oder Übergewicht
  • Übertriebenes Sicherheitsbedürfnis
  • Fixierung auf die materielle Dimension des Lebens
  • Geiz; Ansammeln und Horten von Dingen
  • Angst vor Veränderungen
  • Tendenz zu Neidgefühlen
  • Phlegma, Antriebslosigkeit, Langsamkeit
Auf körperlicher Ebene zeigt sich ein schwaches Urvertrauen häufig durch folgende Symptome:
  • Störungen und Erkrankungen im Bereich von Dickdarm und Anus
  • Verstopfung
  • Probleme mit Zähnen und Knochen
  • Probleme mit Knien, Beinen, Füßen, Steißbein, Sitzknochen, Gesäß
  • Häufiges Kranksein
  •  Körperliche Erschöpfung

Urvertrauen lässt sich nicht „anknipsen“

Ob wir dazu neigen, dem Leben, der Welt und unseren Mitmenschen zu vertrauen oder nicht – dafür werden die Weichen sehr früh gestellt.

Manche Menschen, die in den frühesten Lebensjahren nicht die Chance hatten, Urvertrauen aufzubauen, tendieren zu Misstrauen und Rückzug, andere kompensieren ihr mangelndes Urvertrauen durch zu viel Vertrauensseligkeit. Und viele werden oft ihr ganzes Leben lang von einem unterschwelligen Gefühl der „Grundangst“ begleitet – sofern sie keine Mittel finden, ihr Urvertrauen nachträglich zu stärken.

In der Chakra-Psychologie ist das Urvertrauen dem Wurzel- oder Basischakra und dem Element Erde zugeordnet. Ist hier die Energie nicht ausgewogen und im Fluss, haben wir auch bei geringfügigen Auslösern das Gefühl, dass das Leben uns den Boden unter den Füßen wegkickt. Wir vertrauen unserem Körper, unseren Instinkten und unserer Intuition nicht, und wir vertrauen auch unserem eigenen Lebenswillen und unserer Überlebensfähigkeit nicht.

Auch Unfälle, Krankheiten und plötzliche Verluste im Erwachsenenalter können aus Sicht der Chakra-Psychologie dazu führen, dass unser Urvertrauen erschüttert wird.

Und weil Urvertrauen etwas so basales ist, lässt es sich nicht einfach so (wieder) „anknipsen“.

Es braucht ganzheitliche Methoden, viel Geduld und Engagement, um ein geschwächtes oder erschüttertes Urvertrauen wieder aufzubauen und zu stabilisieren.

Der Weg über den Körper

„Sag doch mal: ,Ich vertraue meinem Körper‘„, fordert mein Körpertherapeut mich auf.

Ich versuche, den Satz auszusprechen, doch was aus meinem Mund kommt ist eher eine Mischung aus verzweifeltem Schluchzen und höhnischem Lachen. Es ist so unendlich schmerzhaft, in diesem Moment zu erkennen, wie wenig ich meinem Körper vertraue. Wie sehr ich das Gefühl habe, mich nicht auf ihn verlassen zu können, von ihm entfremdet zu sein, kein Zuhause in ihm zu haben. Wie sauer ich auf ihn bin, weil er nicht so funktioniert, wie ich mir das vorstelle.

„Fällt dir etwas auf?“, fragte meine Trainerin in der Tanzpädagogik-Ausbildung.

„Nein, was?“, frage ich zurück.

„Na, deine Fersen berühren den Boden so gut wie nie!“

Ich blicke um mich. Schaue auf die Füße der anderen Tänzerinnen, und spüre zu den meinen hin. Tatsächlich: Ihre Fersen berühren bei jedem Schritt den Boden. Meine nicht.

In den ersten vier, fünf Jahren meiner Yogapraxis habe ich alle Stehhaltungen geliebt, bei denen die Arme weit nach oben gestreckt waren. Alles, was sich bodennahe auf der Matte abspielte, war mir hingegen zuwider.

All das waren Zeichen dafür, dass ich kaum Verbindung zur Erde hatte, kein Zuhause-Gefühl, kein Willkommens-Gefühl, keine Geborgenheit, kein Mich-Fallen-Lassen-Können. Paradoxerweise (und gleichzeitig ganz logisch) fehlte mir – trotz all des Schwebens – jede Leichtigkeit. Alles fühlte sich schwer und mühsam an.

Viele Jahre, unzählige Körpertherapie-Stunden, Yoga- und Tanzsessions, Wurzelchakra-Übungen, Beckenbodentrainings und einsame Pilgerwanderungen später berühren heute meine beiden Fußsohlen satt und stabil den Boden.

Gleichzeitig schwebe ich – nicht immer ganz mühelos, aber die grundsätzliche Schwere ist aus meinem Leben gewichen, und die ständig subtil in mir schwingende Grundangst hat sich zu weiten Teilen gelegt.

Urvertrauen können wir nicht „herbeidenken“. Es braucht (auch) Wege über den Körper. Nicht jeder dieser Wege ist für jeden Menschen gleich geeignet. Aber egal ob Yoga, Tanz, Körpertherapie, Klang und Musik, Naturerfahrungen oder andere Zugänge: Ein stabiles Urvertrauen ist ohne Zuhause-Sein im Körper nicht möglich.

EIN STABILES URVERTRAUEN IST NICHT MÖGLICH, SOLANGE WIR UNS NICHT WIRKLICH IM KÖRPER ZUHAUSE FÜHLEN.

Der Weg über den Geist

Wir alle haben Erfahrungen gemacht, die unser Urvertrauen erschüttert haben. Wir alle haben aber noch weitaus mehr Erfahrungen gemacht, die eigentlich ein Beweis dafür wären, dass wir dem Leben vertrauen können und in dieser Welt sicher sind.

Das Problem ist nur: Die negativen Erfahrungen prägen sich um ein Vielfaches stärker in unser Gedächtnis ein als die positiven – so ist unser Mind nun mal programmiert. 

Wenn wir also unser Vertrauen ins Leben stärken wollen, braucht es bewusstes Mind Management. 

Zum Beispiel so:

  • Schreib eine Liste der Situationen, in denen alles gut gegangen ist, obwohl du dachtest, du seist in Gefahr.
  • Schreib eine Liste der Ängste und Sorgen, die du hattest, die aber niemals wahr geworden sind.
  • Schreib eine Liste der Beweise dafür, dass du dich auf dieser Welt sicher fühlen kannst.
  • Schreib eine Liste der Menschen, denen du vertraust und auf die du dich verlassen kannst.

So gleichst du deine negativity bias aus und programmierst dein Gehirn nach und nach um. Das verändert auch deine Wahrnehmungen und deine Erwartungen, und dadurch dein eigenes Verhalten – so dass du auch dir selbst immer mehr vertrauen kannst!

UND GLEICH NOCH EIN TIPP:

Du brauchst gar kein unerschütterliches Vertrauen, um loszugehen, den ersten Schritt zu setzen. Dein Urvertrauen muss nicht perfekt ausgeprägt sein. Es wächst auf dem Weg. Wichtig ist, zu welchem Menschen du wirst, indem du den Weg des Vertrauens gehst, einen Schritt nach dem anderen!

Und: Auf diesem Weg wirst du neue Menschen treffen – Menschen, die zu dir passen, denen du vertrauen und auf die du dich verlassen kannst.

Auch, wenn es im Moment vielleicht so aussieht: Du musst nicht alles alleine schaffen.

„Take the first step in faith. You don’t have to see the whole staircase, just take the first step.”

„Mach den ersten Schritt im Vertrauen. Du musst nicht schon alle Stufen der Treppe sehen, mach einfach den ersten Schritt.“

~ Martin Luther King, Jr.

Der Weg über die Seele

Aussuchen würden wir sie uns vermutlich nicht, die Erfahrungen, die uns bis in die Grundfesten erschüttern. Und sie sind alles andere als angenehm, die kleinen und großen Momente, in denen wir daran zweifeln, ob wir überhaupt irgendjemandem oder irgendetwas vertrauen können.

Aber es sind auch genau die Momente und Erfahrungen, die unser Vertrauen in etwas Größeres, in eine höhere Intelligenz vertiefen können – wenn wir uns dem öffnen. Wenn wir bereit sind, unseren Widerstand gegen schmerzhafte Erfahrungen aufzugeben und uns stattdessen voller Hingabe in sie hineinfallen lassen. Denn nur dann merken wir: Da ist etwas, das trägt. Dann merken wir: Es ist unsere Seele, die uns in die Dunkelheit führt, um uns ein Licht zu zeigen, das anders strahlt.

Denn nur wenn es dunkel wird, sehen wir die Sterne.

“To be fully alive, fully human, and completely awake is to be continually thrown out of the nest.”

„Ganz lebendig, ganz menschlich und völlig erwacht zu sein bedeutet, ständig  aus dem Nest geworfen zu werden.“

~  Pema Chödrön

Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass es viel Geduld braucht, um ein erschüttertes Urvertrauen wieder aufzubauen; dass es auch verschiedene Zugänge braucht, dass einer nicht ausreicht.

Ich weiß aber auch, wie grundlegend sich das Leben verändert, wenn wir ein starkes Urvertrauen als stabile Basis haben, von der aus wir wachsen und uns entfalten können.

Mittlerweile weiß ich auch: Wir können nur Richtung Himmel wachsen und nach den Sternen greifen, wenn wir gleichzeitig in die Tiefe wachsen, wenn wir immer robuster in der Erde wurzeln, wenn wir Halt und Geborgenheit finden in unserem Mensch-Sein.

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