Sei ein Kamel. Aber bitte nur in der Wüste.

Wie du deinen Herzensweg kraftvoll gehst

Es bricht mir das Herz, DAS zu sehen.

Es bricht mir das Herz zu sehen, wie Frauen sich klein machen – Frauen, die großartig sind, und die auch groß sein, ein großes, freies Leben führen könnten, wenn sie nur …

Es bricht mir das Herz zu sehen, wie sehr sie geschrumpft sind, die Träume dieser Frauen, wie weit entfernt ihr Leben von dem ist, was möglich ist, was möglich wäre, würden sie nur  …

Es bricht mir das Herz zu sehen, wie sie verdurstet, verkümmert und verdorrt, die Essenz dieser Frauen, wie wenig Nahrung sie bekommt, wie die leise Stimme der Sehnsucht immer wieder erstickt wird von Normen und von der Angst dieser Frauen, der Angst davor, Normen zu brechen, obwohl das Leben so viel Fülle und Süße für diese Frauen bereithalten würde, hätten sie nur …

Wenn sie nur. Wenn sie nur mehr Selbstwertgefühl hätten.

Würden sie nur. Würden sie nur wissen, wie viel in ihnen steckt.

Hätten sie nur. Hätten sie nur endlich Klarheit darüber, was ihnen zusteht und was alles möglich ist, wenn sie ihren Platz auf dieser Erde einnehmen, wenn sie für sich beanspruchen, was seit jeher für sie gedacht war.

Und würden sie nur endlich aufhören, sich mit weit weniger zufrieden zu geben als dem, was das Leben ihnen zugedacht hat, würden sie nur endlich aufhören, die Kargheit als normal zu betrachten – die emotionale Kargheit, die finanzielle Kargheit, die geistige Kargheit, die kreative Kargheit, die sexuelle Kargheit, die körperliche Kargheit.

Als ich kürzlich über Bescheidenheit gebloggt habe, erreichten mich einige kritische Kommentare und Rückmeldung.

{Ich mag das sehr. Ich liebe es, in Dialog zu treten über Themen wie diese, und ich bin verrückt danach, unterschiedliche Sichtweisen zu verstehen, zu ergründen. Ich habe Diskussionen geführt mit den Frauen, für die Bescheidenheit etwas Wichtiges, Tugendhaftes ist – und ich habe besser verstanden, worum es ihnen geht.}

Viele Frauen glauben, mehr zu wollen als das, was sie im Moment haben, stehe im Widerspruch zu ihrer Sehnsucht nach Frieden und Zufriedenheit. 

Sie glauben, sich mit WENIGER zufrieden zu geben als dem, was ihr Herz sich tief im Inneren wünscht, sei ein Zeichen von Bescheidenheit und Dankbarkeit, ein Zeichen dafür, dass sie das kleine Glück zu schätzen wüssten und in Hingabe leben würden. 

Aber das ist ein furchtbares Missverständnis.

Ein wirklich, wirklich furchtbares.

 

Sei ein Kamel – aber bitte nur in der Wüste.

Es ist gut, mit Kargheit klarkommen zu können, wenn die Zeiten nun mal gerade karg sind.

Es ist gut, Kamel-Qualitäten zu haben, wenn wir die Wüste durchwandern müssen, weil unsere Seele uns dorthin geschickt hat, um uns etwas zu lehren, wenn die nächste Oase unerreichbar zu sein scheint, wenn die einzige Quelle, die uns zur Verfügung steht, die in unserem Inneren ist – und wenn auch diese zu versiegen droht.

{Ja, auch solche Zeiten gibt es. Es gibt sie in jedem Leben. Speziell in jedem Frauenleben.}

Es ist etwas Wunderbares, sich an den kleinen Geschenken des Lebens entlangfreuen zu können – an der Wolkenformation, die sich gerade am Himmel zeigt, an den ersten gelben und roten Blättern im Herbst, an der liebevollen Textnachricht einer Freundin, am Lachen eines Kindes, an einem tiefen, genussvollen Atemzug, an einem schönen neuen Wort. Ja, diese Haltung ist die anmutigste, die es gibt, und ich übe und praktiziere sie jeden Tag bewusst und mit Hingabe.

Es ist aber alles andere als wunderbar, wenn wir diese Haltung missbrauchen, um uns in die eigene Tasche zu lügen.

Ein Beispiel.

„Ich brauch‘ nicht viel“, sagt Karoline.

Eine Frau  aus meinem Umfeld, die ich gut kenne auch unglaublich schätze; nennen wir sie Karoline.

Karoline ist Ende 40, und sie hatte das, was man landläufig eine schwierige Kindheit nennt. Arbeitslosigkeit, Alkoholprobleme, früher Tod eines Elternteils.

„Ich bin genügsam“, sagt Karoline. „Ich brauch‘ nicht viel.“

Ihre Körperhaltung verrät Müdigkeit, während sie das sagt, ihr Gesicht hat etwas Wächsernes, Lebloses an sich. Und doch scheint sie auch ein Stück weit stolz auf sich und ihre Genügsamkeit zu sein. Nicht nur das – nicht viel zu wollen, nicht viel zu brauchen, das gibt ihr Sicherheit, das ist vertraut.

Irgendwann beginnt Karoline zu schreiben, und Seite für Seite schreibt sie sich den Weg zu sich selbst, zu ihrer ursprünglichen Kraft und Lebensfreude frei.

Es ist ein langsames Erwachen aus einem Dornröschenschlaf.

Es ist ein Auftauen aus einem Zustand des jahrzehntelangen Eingefroren-Seins.

Es ist wunderschön. Und es ist schmerzhaft.

Karoline beginnt, ihre Genügsamkeit, ihre Bescheidenheit, ihr „Ich brauch‘ nicht viel“ zu hinterfragen. 

Sie erlaubt sich, zumindest anzudenken, dass sie zwar vielleicht nicht mehr BRAUCHT, aber mehr WILL als die emotionale Dürre und die kreative Wüste, in denen sie viel zu lange gelebt hat. 

Zunächst ist es ein Probe-Denken. Nach und nach wird es zu einem Probe-Handeln, zunächst auf dem Papier, immer mehr jedoch, in winzigen Baby-Steps, auch im echten Leben.

Und schließlich ist der Bann gebrochen. Nichts ist mehr, wie es war. Veränderungen bahnen sich an, Umwälzungen geschehen. Beziehungen werden geprüft, durchgerüttelt und auf ein neues Fundament gestellt – oder gehen in die Brüche. Weitreichende berufliche Entscheidungen werden getroffen. Der wächserne Gesichtsausdruck weicht einer ausdrucksstarken, lebendigen, offenen Mimik. Der Kleidungsstil ändert sich.

Karoline dehnt sich aus. Sie beginnt, Raum einzunehmen, sich zu zeigen. Zuerst zaghaft, dann immer mutiger.

Und sie versteht, dass sie Vergangenheit mit Gegenwart verwechselt hat, dass die kargen Zeiten ihrer Kindheit nichts mit dem Hier und Heute zu tun haben, und dass ihr „Ich brauch‘ nicht viel“ eine Verweigerung ist, eine Verweigerung des Glücks, ein NEIN zum Leben und der Fülle, die es ihr schenken möchte und auch würde, würde sie nur ihre Hände aufhalten und „Danke, und es darf noch mehr sein!“ sagen.

Karolines Genügsamkeit ist keine, die einer Haltung der Dankbarkeit, der Hingabe, der Bescheidenheit entspringt. 

Sie ist eine Genügsamkeit, die aus einem ängstlichen Misstrauen dem Leben gegenüber rührt. 

Und DAS bricht mir das Herz.

Umarmungen. Mehr, als du je für möglich gehalten hättest.

Das bricht mir nicht nur das Herz, weil ich diese Angst, dieses Misstrauen von mir selbst gut kenne – und von vielen meiner Coaching-Klientinnen.

Das bricht mir AUCH das Herz, weil ich in meinem eigenen Leben, entlang meines eigenen Weges, erlebt habe, wohin es uns führt, wenn wir der Sehnsucht in unseren Herzen folgen.

Denn das Leben, das ich heute führe, ist noch saftiger und reicher, noch sinnvoller und regenbogenbunter, als ich es mir in meinen kühnsten Träumen ausmalen hätte können, und es gibt nichts, was ich den Frauen dieser Welt mehr wünsche als das – ein saftiges, sinnvolles, buntes, reiches Leben.

Ein Leben, in dem das Lachen erschallen und die Tränen fließen dürfen, ein Leben, in dem es mehr Umarmungen gibt als wir jemals für möglich gehalten hätten, ein Leben, das sich so wahr und so echt anfühlt, dass wir uns nur noch dunkel an jene Zeiten erinnern können, in denen wir uns verbogen und verraten haben, um das bisschen Aufmerksamkeit, Anerkennung und Sicherheit zu bekommen, das andere bereit waren, uns zu geben – vorausgesetzt, wir waren pflegeleicht, angepasst und möglichst unkompliziert.

Die Sehnsucht nach Freiheit und Fülle, nach einem erfüllten, erfüllenden und sinn-vollen Leben hat nichts mit Luxuspool, teuren Reisen und schicken Klamotten zu tun.

Die Sehnsucht nach Freiheit und Fülle hat etwas mit der Ahnung davon zu tun, dass Beziehungen möglich sind, in denen wir einander im anderen erkennen und miteinander wachsen können, in denen Intimität ein echtes Into-me-you-see ist, in denen wir gehört, gesehen, verstanden und geliebt werden in all unserer widersprüchlichen Einzigartigkeit – und davon, dass unsere eigene Liebe, Zuwendung und Fürsorge nichts anderes will als sich großzügig zu verströmen, wenn wir uns in gegenseitiges Vertrauen fallen lassen können.

Die Sehnsucht nach Freiheit und Fülle hat etwas damit zu tun, so zu leben, wie es unserem ursprünglichsten Wesen entspricht, und eben dieses Wesen kreativ zum Ausdruck zu bringen – in unserer Arbeit, unserem Tun, unserem Sein -, denn nur dann können wir der Welt das zurückschenken, was sie uns durch unser Leben geschenkt hat, durch unsere Gaben und Talente und all die Erfahrungen, die uns geholfen haben zu verstehen, wie wir gemeint sind.

Everyone has been made for some particular work, and the desire for that work has been put in every heart.

Jeder Mensch ist für eine bestimmte Arbeit geschaffen worden, und der Wunsch nach dieser Arbeit ist in jedes Herz gelegt worden.

~ Rumi

Dieser Sehnsucht zu folgen ist ein langer und anspruchsvoller Weg. Ein Weg ohne große Hinweisschilder, ein Weg ohne gut sichtbare Wegweiser, ein verschlungener, verworrener Weg durch Dickichte und Sandwüsten, durch tiefe Täler und über schwindelerregende Höhen, und: ein manchmal sehr einsamer Weg.

Was führt dich an deinen ureigensten Platz? Kompromisslose Wahrhaftigkeit.

Nur durch Ausprobieren und Scheitern, nur indem wir verwirrende Erfahrungen machen, nur indem wir Dinge tun, von denen wir glaubten, sie würden sich endlich richtig anfühlen – nur um ernüchtert festzustellen, dass wir SCHON WIEDER im falschen Lebensfilm gelandet sind -, nur durch diese Suchbewegung und durch kompromisslose Wahrhaftigkeit uns selbst gegenüber landen wir schließlich dort, wohin unsere Sehnsucht uns führen will: an unseren ureigensten Platz.

Klingt anstrengend? Ist es auch.

Eins aber ist sicher: Diejenigen, die dem noch nicht existierenden Pfad folgen, der sich erst beim Gehen unter die eigenen Füße schiebt, werden niemals um ihr nicht gelebtes Leben trauern …

UNSERE SEHNSUCHT WILL UNS AN UNSEREN UREIGENSTEN PLATZ FÜHREN.

WENN WIR IHR KOMPROMISSLOS FOLGEN, LANDEN WIR IRGENDWANN DORT.

Ein wert-volles Leben leben.

Ein Leben, das es wert ist, gelebt zu leben, setzt zweierlei voraus:

Erstens, dass wir unseren eigenen Wert erkennen; dass wir es uns wert sind, von einem solchen Leben zumindest zu träumen, diesen Träumen Raum zu geben und all die aufregenden, beängstigenden, mutigen, wackeligen kleinen und großen Schritte zu tun, die uns der Erfüllung dieser Träume ein Stückchen näher bringen.

Und zweitens, dass wir unsere eigenen Werte kennen; jene Prinzipien, nach denen wir uns ausrichten, nach denen wir unsere Entscheidungen treffen, so dass wir uns selbst treu bleiben, unsere Integrität wahren, und uns jeden Morgen in den Spiegel schauen können ohne das beklemmende Gefühl, dass unser Leben im Außen wenig mit dem zu tun hat, was wir tief in unserem Inneren spüren.

Bevor du dich nicht selbst wertschätzt, wirst du deine Zeit nicht wertschätzen. Bevor du deine Zeit nicht wertschätzt, wirst du mit ihr nichts Sinnvolles anfangen.

~ M. Scott Peck

Selbstwertgefühl – der Schlüssel zu allem anderen!

Selbstwertgefühl ist die Haltung, die wir uns selbst gegenüber einnehmen.

Es geht über das allgemeine Verständnis von „Selbstwert“ hinaus, darüber, dass wir jedem Wesen – uns selbst eingeschlossen – zugestehen, wertvoll zu sein, unabhängig von Leistungen und Fähigkeiten.

Unser Selbstwertgefühl entscheidet darüber, was wir über uns selbst denken, was wir uns zugestehen und erlauben, ob wir uns mögen oder nicht, wie viel Wertschätzung und Anerkennung wir uns selbst entgegenbringen.

Deshalb entscheidet unser Selbstwertgefühl auch darüber, was ANDERE über uns denken und was sie uns zuzugestehen bereit sind. Und darüber, ob wir uns selbst für wert-voll genug halten, um ein maßgeschneidertes Leben für uns zu kreieren oder nicht.

Und der Herbstwind wispert …

Diese Woche beim morgendlichen Spaziergang auf meinen geliebten Hügel: Meine Schritte führen mich in ein kleines Wäldchen hinein, und plötzlich raschelt es zart und verheißungsvoll um mich herum. Ich halte inne und lausche den Blättern, die im Septemberwind erzittern. Sie singen für mich, flüstern mir zu, sprechen zu mir von Vergänglichkeit und Ewigkeit, und von der Lust an der eigenen Lebendigkeit.

Jahrelang habe ich mich danach gesehnt, für solche Momente Zeit zu haben. Danach, meine Tage nicht mit Arbeit zu beginnen, sondern  mit Poesie.

Und siehe da – nach vielen, vielen Runden, nach unzähligen Ernüchterungen und Enttäuschungen, bin in einem Leben angekommen, das tatsächlich mein wahres Wesen widerspiegelt.

Ich habe alles, was eine Frau sich wünschen kann, UND ich will mehr.

Noch mehr Freiheit. Noch mehr Tiefe. Und noch viel mehr Blätterrauschen.

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